Roberts Schwester
es, mein Gesicht zu betrachten, ohne nach zwei Sekunden in dieses krampfartige Grinsen zu verfallen. Das konnte nur Serge, und er ließ sich dafür bezahlen. Und Robert konnte es, weil er mich liebte – mich, nicht mein Gesicht, nicht meinen rechten Arm und nicht das verlorene Auge. Isabell sagte, wie sehr sie sich freue, mich endlich kennen zu lernen. Ich wartete auf die Standardfloskel, dass Robert bereits so viel von mir erzählt habe. Die ersparte sie uns. Stattdessen strahlte sie mich an. Sie selbst hielt es wohl für ein offenes, herzliches und natürliches Lächeln. Aber natürlich an ihr war nur das frische, rosige Gesicht. Nicht den kleinsten Hauch von Rouge trug sie auf den Wangen, keinen Lidschatten, keinen Lippenstift. Nur ihre Fingernägel waren blutrot lackiert und so lang, als sei es bei Strafe verboten, eine Nagelfeile zu verwenden. Ich kannte diese Art von Fingernägeln nur aus dem «Cesanne» . Die Stripperinnen schmückten sich damit. Ich hatte von Frau Schür das Gästezimmer am Ende der Galerie für sie herrichten lassen. Robert trug ihren Koffer hinauf, zeigte ihr das Zimmer und das angrenzende Bad. Sie mokierte sich darüber, dass sie nicht bei ihm schlafen konnte.
«Das ist ja wie im Mittelalter», hörte ich sie sagen. Roberts Antwort verstand ich nicht. Nur seine Stimme hörte ich, den warmen, herzlichen Ton, die Besorgnis darin, weil etwas nicht nach ihrem Geschmack war. Ich ging in die Küche, kümmerte mich um den Kaffee und begriff es nicht. Dieses Mädchen strahlte eine Kälte aus, die mir eine Gänsehaut verursacht hatte, als ich ihre Hand schüttelte. Robert musste es doch ebenso fühlen wie ich, er war so sensibel. Wenn ihm bisher entgangen war, mit wem er sich eingelassen hatte, musste Isabell Torhöven über entschieden mehr verfügen als bloße Verstellungskunst. Frau Schür hatte so weit alles vorbereitet, am Vormittag noch einen Kuchen gebacken, eine Bratenplatte, etwas Fisch und einen Salat für den Abend angerichtet, sogar den Tisch im Esszimmer bereits für den Kaffee gedeckt. Eine Stunde nach Isabells Ankunft saßen wir uns an diesem Tisch gegenüber. Sie hatte ihr Reisekostüm gegen ein schlichtes Kleid getauscht. Es war ein hellgrünes Kleid, das einen schönen Kontrast zu ihrem roten Haar bot. Ich glaubte Roberts Geschmack zu erkennen. Dass sie sich in seiner Gegenwart umgezogen hatte, bewies eine Vertrautheit, die wohl über ein paar gute Tipps für die Garderobe hinausging. Am rechten Arm trug sie einen breiten Goldreif. Wenn er echt war – und das war er, wie ich später feststellte –, hatte er seinen Preis gehabt. Und dann musste man sich fragen, von wem eine junge Frau, die sich allein hatte durchbringen müssen, das Geld für solch ein Schmuckstück bekommen hatte. Immerhin war sie erst dreiundzwanzig, als Robert sie mir vorstellte. Um den Hals trug sie ein schlichtes Collier. Ein Geschenk von Robert, das musste mir niemand eigens erklären. Ich kannte seine Vorliebe für dezente Preziosen. Er schätzte es nicht, wenn jemand seinen Besitz auf protzige Weise zeigte. Und was, wenn nicht solch eine Demonstration, sollte dieser Goldreif am Arm sein? Sieh her, was ich habe, ich bin nicht angewiesen auf das, was du hast. Da waren auf Anhieb ein paar eklatante Widersprüche, allein schon äußerlich. Isabell gab sich redlich Mühe, die kleine Unschuld hervorzukehren. Am Gespräch beteiligte sie sich anfangs nur sehr zurückhaltend. Vor jedem Sätzchen vergewisserte sie sich mit einem raschen Blick bei Robert, dass sie nichts falsch machte. Das war keine Schüchternheit, auch wenn Robert es gerne so sehen wollte. Es war Berechnung, ein behutsames Sondieren, erst einmal das feindliche Terrain erkunden, das war es. Ich bin ganz sicher, sie wusste vom ersten Moment an, dass sie bei mir vorsichtig sein musste. Nach dem Kaffee wurde sie gesprächiger. Die Blicke zu Robert wirkten nicht mehr fragend, nur noch verliebt. Wir gingen ins Kaminzimmer. Robert schenkte uns Cognac ein. Ich nahm in einem Sessel Platz, sie wählten die Couch. Mehrfach sah ich sie verstohlen nach seiner Hand tasten. Jedes Mal tat sie, als sei es ihr peinlich, dass ich es bemerkte. Da kam dann ein Lächeln wie die Entschuldigung eines Kindes, das beim Griff in die Keksdose ertappt worden ist. Hin und wieder nippte sie an ihrem Cognac und benahm sich, als hätten diese drei Tropfen schon eine ungeheure Wirkung auf sie. Sie begann von sich zu erzählen, fand gar kein Ende. Robert nannte es später
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