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Roberts Schwester

Roberts Schwester

Titel: Roberts Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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weggefahren. Sie muss die Leiche identifizieren, sagte sie. Sie wollte sich auch die Stelle anschauen, an der es passiert ist.»
    Dann begann sie zu weinen. Und ich lag einfach nur da, konnte nicht einmal denken. Es gab unzählige Fragmente in meinem Kopf. Kein einziges war konkret genug, dass ich es hätte packen und mehr daraus machen können. Ein wüstes Chaos war es, ein Gemisch aus vagen Eindrücken, Hass und Verzweiflung. Mir war danach, aufzustehen, in die Küche zu gehen, mir eines von den großen Messern zu holen. Und dann die Treppe hinaufsteigen, zum Zimmer am Ende der Galerie gehen. Jetzt war Jonas dort allein. Ein Mann im Rollstuhl, für ihn brauchte ich nicht unbedingt ein Messer. Ich hätte ihn zur Treppe schieben und mit ihm abrechnen können, ehe seine Schwester zurückkam. Und wenn sie dann kam, sollte sie sich ihren Bruder noch einmal in Ruhe anschauen. Sie sollte genau wissen, wie das ist, bevor ich mich mit ihr beschäftigte. Es ist gerade neun Monate her, dass Robert sie mir vorgestellt hat. Seine große Liebe, die Frau seines Lebens. Wie passend! Die Frau, die ihn das Leben gekostet hat! Mitte Dezember war es. Ich hatte vier Wochen bei Lucia in Spanien verbracht, wie in den letzten Jahren auch. Robert liebte den Wintersport, nur aus Rücksicht auf mich war er daheim geblieben. Bis ich mich dann eben zu meinen Besuchen bei Lucia entschloss. Er sollte doch für mich nicht auf sein Vergnügen verzichten müssen. Als ich aus Spanien zurückkam, war er irgendwie verändert. Ein bisschen stiller als sonst, in sich gekehrt war er. Auf mich wirkte er wie ein Mensch, der unentwegt mit sich selbst um eine Entscheidung ringt. In den vergangenen acht Jahren hatte ich ihn häufig so nachdenklich erlebt. Seine Ehe mit Marlies hatte leider nur kurze Zeit gedauert. Bei dem Unfall vor zehn Jahren, der mich das rechte Auge, die Beweglichkeit des rechtes Armes und einiges mehr kostete, kam Marlies ums Leben. Zwei Jahre lang trauerte Robert um sie. Er schien vergessen zu haben, dass es zwei Geschlechter gibt. Ich war die einzige Frau, um die er sich rührend bemühte. Was in seiner Macht stand, tat er, um mir das Leben wieder erträglich zu machen. Dann besann er sich allmählich zurück auf sein Alter und seine Natur. Ich wusste immer, dass er nicht lebte wie ein Mönch. Und er wusste, dass ich Angst hatte, er könne an die falsche Frau geraten. An eine, die ihn nur ausnutzte, die in ihm vordergründig nicht den Mann sah, sondern das Scheckbuch. Wir hatten ausführlich darüber gesprochen. Deshalb verschwieg er mir viele kurze Affären. Wenn es für ihn eine Sache war, die sich nur auf wenige Nächte beschränkte, verlor er kein Wort darüber. Wenn er jedoch glaubte, es könne eine feste Beziehung aus einer neuen Bekanntschaft werden, erzählte er mir davon. Ich erfuhr in allen Einzelheiten, wie, wo und unter welchen Umständen er die betreffende Frau kennen gelernt hatte, was er über ihre Familie wusste, welchen Beruf sie ausübte, wie er sie einschätzte. Anschließend lud er sie für ein Wochenende ein, damit ich sie kennen lernte. Und danach bat er mich regelmäßig um meine Meinung. Es war nicht so, dass er sich von mir abhängig fühlte oder nur versuchte, es mir recht zu machen. So war es wirklich nicht. Er selbst sagte einmal, dass er meine Menschenkenntnis schätzte. Und irgendwie war es seltsam. Oft musste ich die Frauen nur ansehen, ihnen eine halbe Stunde gegenübersitzen, sie ein paar Worte reden hören, dann wusste ich genau, wie sie dachten. Nicht, was sie dachten, das nicht. Aber ihre Art, ihr inneres Wesen, ihren Charakter erkannte ich innerhalb kürzester Zeit. Oberflächlichkeit, Berechnung, diese besondere Art von innerer Kälte, die sich nur auf das eigene Ich konzentrieren konnte und einen Partner fast völlig ausschloss. Ich spürte das. Und Robert legte großen Wert darauf zu erfahren, was ich spürte. Ich beschrieb es ihm, und meist kam er dann nach einigen Wochen, lächelte verlegen und meinte:

    «Du hattest wieder einmal Recht, Mia. Es war doch nicht die Richtige.»
    Ich ließ ihm Zeit, als ich ihn im Dezember tagelang so grüblerisch sah. Er sollte selbst entscheiden, ob ihm eine neue Beziehung wichtig genug war, mich um meine Einschätzung zu bitten. Dann saßen wir an einem Abend in der Bibliothek. Das war zwei Tage vor Heiligabend. Er las in einem Wirtschaftsmagazin, plötzlich schaute er auf und lächelte beinahe schuldbewusst.

    «Ich muss dir etwas beichten, Mia», begann

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