Roberts Schwester
einen Heiratsantrag. Er schwärmte wie ein Pennäler. Hochzeitsreise in die USA.
«Es wird traumhaft, Mia. Niagarafälle, Las Vegas, was immer du möchtest, Mia.»
Und anschließend der Einzug ins neue Heim. Er hatte tatsächlich schon ein Haus für uns beide gekauft.
«Warum?», fragte ich.
«Unser Haus ist groß genug für vier Personen. Selbst wenn Marlies ein halbes Dutzend Kinder in die Welt setzen sollte, haben wir noch ausreichend Platz.»
Da erst erfuhr ich, dass Marlies nicht überlebt hatte. Mein gesamter Kopf steckte noch in einem Verband. Nur das linke Auge und ein bisschen Mund waren ausgespart. Ich konnte nicht schreien. Ich konnte nicht einmal nach ihm schlagen, nur flüstern konnte ich.
«Du elender Mistkerl. Du schlägst mir eine Hochzeitsreise vor. Ich soll mich in Las Vegas amüsieren, während mein Bruder an seinen Schuldgefühlen erstickt? Glaubst du, ich könnte Robert in dieser Situation allein lassen? Ausgerechnet jetzt?»
«Robert ist einverstanden», sagte Olaf. Ja, natürlich. Robert war mit allem einverstanden. Robert hätte sein Todesurteil akzeptiert und auch noch eigenhändig die Schlinge geknüpft. Wahrscheinlich hätte er dem Henker noch ein großzügiges Trinkgeld gegeben, um nicht länger vor sich zu sehen, was er angerichtet hatte in einem Moment des Leichtsinns. Diesen leblosen, verstümmelten Körper seiner Frau. Und mich. Ich musste ihm doch zeigen, dass er mein Leben nicht beendet hatte. Dass ich es noch genießen konnte, zu denken, zu sehen, zu sein. Ich musste ihm helfen, diesen entsetzlichen Berg abzutragen, den er sich auf die Schultern geladen hatte. Mein sanfter, liebenswerter, großzügiger, gutmütiger Bruder, der einem Menschen niemals willentlich einen Schaden hätte zufügen können. Der nur einmal für ein paar Sekunden falsch reagiert hatte. Olaf trennte sich von mir, noch während ich in der Klinik lag. Er könne eine Frau auf Dauer nicht mit einem anderen Mann teilen, erklärte er. Auch dann nicht, wenn dieser Mann der einzige Bruder sei. Er hoffe, dass wir gute Freunde bleiben könnten. Und so weiter und so weiter. Noch Wochen nach diesem Gespräch schickte er mir jeden zweiten Tag einen Blumenstrauß ans Krankenbett. Wenn die Schwester mit den üppigen Gebinden das Zim- mer betrat, wurde ich hysterisch. Aber auch das verging. Nach sechs Monaten und insgesamt fünfzehn Operationen wurde ich aus der Klinik entlassen. Robert holte mich heim. Er war so klein, so still und so hilflos. Wir saßen den ganzen Abend in seinem Zimmer. Er hatte die Einrichtung ausgetauscht, alles war wieder so, wie es vor seiner Hochzeit mit Marlies gewesen war. Aber er konnte über nichts anderes sprechen als diesen grauenhaften Anblick.
«Sie war so voller Träume», sagte Robert.
«Sie wäre bestimmt eine gute Mutter geworden. Ich habe alles zerstört. Wenn ich es nur irgendwie gutmachen könnte, Mia.»
Schließlich brachte ich ihn dazu, das Thema zu wechseln. Er erzählte, wie oft Olaf in den vergangenen Wochen bei ihm gewesen war, um an seinen gesunden Menschenverstand zu appellieren.
«Wenn Olaf nicht gewesen wäre, säße ich nicht mehr hier», sagte er.
«Dass ich Marlies auf dem Gewissen habe, ist schlimm. Aber sie muss sich nicht mehr quälen. Und sie hat nicht gelitten, sagte der Arzt. Es ging so schnell, dass sie nicht einmal mehr begreifen konnte, was ihr bevorstand. Aber du, Mia, du musst es begreifen, du hast bereits monatelang gelitten, und …»
«Das ist nicht wahr», widersprach ich und unterbrach ihn damit.
«Die Ärzte haben dafür gesorgt, dass ich kaum Schmerzen hatte. Das bisschen, was ich davon fühlte, brauchte ich auch, um zu wissen, dass ich noch lebe. Und das ist doch die Hauptsache, nicht wahr? Ich lebe.»
Er schüttelte den Kopf, sehr nachdrücklich und bestimmt.
«Und mit jedem Blick in einen Spiegel siehst du, was ich dir angetan habe.»
«Du hast mir nichts angetan», sagte ich.
«Es war mein Fehler. Ich saß eben auf der falschen Seite. Wäre ich hinter dir eingestiegen, vielleicht hätte ich mir nur ein Bein gebrochen.»
Sekundenlang schaute er mich an und murmelte:
«Vielleicht.»
Etwas lauter sprach er weiter.
«Aber was Olaf angeht, Mia. Es war ihm nicht ernst mit der Trennung. Er hatte gedacht, dich damit unter Druck zu setzen. Er wollte dich zur Vernunft bringen, wie er das ausdrückte. Das hat er nicht geschafft. Nun soll ich mein Glück versuchen. Darum hat er mich gebeten.»
Er lächelte mich an, so
Weitere Kostenlose Bücher