Roberts Schwester
meines Bruders, da müsse ich zwangsläufig befürchten, meine Macht über Robert zu verlieren. Niemand wollte sehen, was tatsächlich vorging, niemand wollte begreifen. Selbst Lucia war taub für Horst Fechner und Isabells Vergangenheit. Sie hörte mir nur mit gerunzelter Stirn zu und meinte:
«Hast du nicht damals auch vermutet, Marlies habe unlautere Absichten?»
Das hatte ich eigentlich nicht. Ich hatte nur kurzzeitig angenommen, da sei noch ein anderer Mann im Spiel. Marlies war als Siebzehnjährige für einige Wochen mit einem Studenten liiert gewesen. Sie sprach offen über diese Beziehung und schien ihr irgendwie nachzutrauern. Das hatte mich natürlich stutzig gemacht. Aber das hatte sich als völlig harmlos herausgestellt. Der Student war für Marlies nur die erste große Liebe gewesen, ein umgänglicher junger Mann aus guten Verhältnissen, kein Vergleich mit Horst Fechner. Nur wollte Lucia das nicht wahrhaben.
«Roberto hat dir erklärt, dass du dich geirrt hast», sagte sie.
«Warum willst du das nicht einsehen, Mia? Du hast ein Foto gesehen, auf dem Isa eine Halskette trägt und neben ihrem Bruder steht. Und daraus machst du eine üble Geschichte von einem anderen Mann. Das ist nicht richtig, Mia. Es gab zwar einen anderen Mann, Isa hat mir von ihm erzählt. Aber sie ist glücklich, dass er fort ist.»
Lucia lud Robert und Isabell ein, die Hochzeitsreise in Spanien zu verbringen. Für mich waren es noch einmal vierzehn Tage, in denen ich wie auf glühenden Kohlen saß. Es mochte ja sein, dass ich mich bei dem Foto geirrt hatte. Aber Fechner war kein Hirngespinst, er existierte. Und wenn Robert mir noch hundertmal am Telefon beteuerte, dass er über allen Wolken schwebe. Ich wusste, dass Isabell ihn rasch zurück auf die Erde holen würde. Ich hatte Recht. Nur dass sie ihn auch noch ein Stück weit hineinstoßen wollte, das hatte ich nicht erwartet. Wolbert und sein schweigsamer Lehrling kamen am Samstagvormittag zurück, um ihre Farce von Ermittlung fortzusetzen. Sie kamen nicht gleich zu mir, sondern schauten sich zuerst gründlich in Roberts Arbeitszimmer um. Freitags hatten sie den Raum nicht betreten können, die Tür war verschlossen gewesen, und der Schlüssel lag entweder im Polizeipräsidium oder in der Gerichtsmedizin. Robert hatte ihn bei sich getragen. So hatten sie nur das Siegel aufs Türschloss geklebt für den Fall, dass es noch einen zweiten Schlüssel im Haus gab, was jedoch nicht zutraf. Es war mehr als seltsam. In all den Jahren hatte Robert niemals sein Arbeitszimmer verschlossen. Frau Schür erzählte mir später, sie habe schon donnerstags nicht mehr hineingehen können, um Staub zu wischen und den Boden abzusaugen. Ich konnte mir das nicht erklären. Wolbert meinte, die verschlossene Tür sei ein Beweis, dass Robert auf eine wichtige Nachricht gewartet habe und verhindern wollte, dass jemand aus der Familie sie entgegennahm. Etwa eine halbe Stunde nachdem sie ins Haus gekommen waren, hörte ich die beiden Männer hinaufgehen. Sie unterhielten sich eine Weile mit Isabell und Jonas. Frau Schür nutzte die Zeit, mir wenigstens einen Kaffee aufzudrängen. Als sie die beiden Polizisten dann ins Atelier führte, gab Wolbert sich erfreut, mich in besserer Verfassung vorzufinden. Es war der blanke Hohn. Ich musste schlimm aussehen, viel schlimmer als am Tag zuvor. Seit sie mich nach meinem Zusammenbruch auf die Couch gelegt hatten, hatte ich mein Atelier nur zweimal kurz verlassen, um zur Toilette zu gehen. Ich hatte mich nicht gekämmt, nicht gewaschen, nicht umgezogen. Ich hatte nicht zu Abend gegessen und nicht gefrühstückt. Ich hatte auch niemanden angerufen, weder Lucia noch Olaf, von Serge ganz zu schweigen. Ich konnte mit niemandem reden, ich konnte es nicht aussprechen. Jetzt sprach Wolbert es aus. Eine Kugel in die linke Schläfe. Ein sehr kleines Kaliber, keine Austrittswunde. Weitere Erkenntnisse sollte der gerichtsmedizinische Befund liefern. Wolbert fragte mich, ob Robert Linkshänder gewesen sei. Ich begriff sofort, worauf er hinauswollte, und schüttelte den Kopf. Robert war sehr geschickt mit der linken Hand gewesen, etwas geschickter noch als mit der rechten. Aber er konnte sich nicht selbst getötet haben. Das war völlig ausgeschlossen. Auch Wolbert musste das einräumen. Immerhin hatten sie keine Waffe bei Robert gefunden, nicht einmal eine Patronenhülse.
«Entweder hat der Mörder die Hülse mitgenommen», sagte Wolbert.
«Oder er hat einen
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