Roberts Schwester
offenen Sarg. Olaf hielt Lucia am Arm, um mich kümmerte sich niemand. Es war auch nicht nötig. Ich kam zurecht. Robert sah sehr gut aus, so frisch und lebendig wie schon lange nicht mehr. Der Ausdruck auf seinem Gesicht erinnerte mich an den Augustmorgen vor einer Ewigkeit, als er nackt und schlafend auf seinem Bett lag und ich vor ihm hätte niederknien mögen. So viel Unschuld, so viel Harmonie und keine Sorgen, keine Zweifel, nichts mehr, was seinen Frieden störte. Ich schaute ihn an und konnte es nicht glauben. Nur an seiner linken Schläfe war eine etwas merkwürdig erscheinende Stelle. Es sah fast aus, als hätte man das Einschussloch mit Plastilin verstopft und überschminkt. Und wie ich da vor ihm stand, wusste ich endlich, was ich zu tun hatte. Ob es mir selbst gefiel, spielte keine Rolle. Ich musste es ihm zuliebe tun. Ich musste mich von Piel hypnotisieren lassen. Zur Sicherheit wollte ich ein Tonband mitlaufen lassen, damit Piel mir anschließend keine Märchen erzählen konnte. Ich glaubte nicht mehr daran, aber völlig ausschließen durfte ich es nicht. Dass Robert mir in seiner letzten Stunde noch etwas anvertraut hatte, was seinen Mörder oder die Mörderin überführen konnte. Vielleicht hatte ich auch etwas Verdächtiges gesehen auf dem Rastplatz. Die Zeit bis zu dem Termin bei Piel war eine einzige Tortur. Ich saß in meinem Atelier und hörte den Stimmen zu. Den Stimmen im Haus und denen in meinem Kopf. Sie wechselten sich ab, manchmal wusste ich nicht, welche davon real waren. Robert sprach mit Piel über Halluzinationen: Mia geistert nachts durchs Haus, sieht sie kleine grüne Männchen? Lucia sprach mit Jonas, der inzwischen anscheinend das gesamte obere Stockwerk für sich beanspruchte. Isabell sprach mit Frau Schür, sie hatte das Kommando im Haus an sich gerissen und bestimmte über den Inhalt der Kochtöpfe. Aber Robert noch einmal sehen, hatte sie abgelehnt. In ihrem Zustand traue sie sich das nicht zu, hatte sie gesagt, und vielleicht schade es dem Kind, wenn sie sich aufregte. Es war fast eine Erleichterung, als ich dann am Donnerstag in ein Taxi stieg und mich zu Piel bringen ließ. Er kam sofort zur Sache.
«Entspannen Sie sich, Mia.»
Zum ersten Mal lag ich bei ihm auf einer Couch, sonst saßen wir uns immer in zwei Sesseln gegenüber. Aber mit meiner Entspannung war es nicht weit. Piel gab sich redlich Mühe. Ich sollte mich auf seine Stimme konzentrieren, ausschließlich auf seine Stimme. Ich hatte Angst, einfach nur noch Angst. Es funktionierte nicht. Piels einlullende Stimme versetzte mich nicht in Trance, nur in Panik.
«Sie dürfen sich nicht dagegen wehren, Mia.»
Nein! Aber ich durfte vieles nicht. Nicht laufen, nicht hüpfen, nicht lachen, nicht weinen. Ich durfte Robert nicht lieben und Serge nicht bezahlen. Ich durfte nicht einmal einen Scherz machen. Ich lag auf dem Bett, und Serge war wütend auf mich.
«Zieh dich endlich an und hör auf zu spinnen … Hast du überhaupt eine Ahnung, wer Biller ist?»
Nein! Das wollte ich ja gerade herausfinden. Und als ich aus der Dusche zurückkam, grinste Serge.
«So, deinen Gefallen habe ich dir getan. Und wie geht es jetzt weiter?»
Das ging ihn einen Dreck an. Das war eine Sache ausschließlich zwischen Robert und mir. Und Robert kam. Robert war müde, ganz krank wirkte er. Er sprach mit Serge über einen weiteren Anruf, vergewisserte sich mit verstohlenen Blicken zu mir, dass ich nicht begriff, wovon er sprach. Aber ich begriff es sehr wohl. Und auf der Straße fragte ich ihn, wer Biller sei und warum er sich unbedingt jetzt noch mit ihm treffen musste, mitten in der Nacht.
«Du bohrst mir noch ein Loch in den Kopf mit deiner ständigen Fragerei», sagte Robert. Das war keine Antwort. Im Wagen fragte ich ihn noch einmal. Robert wurde ein bisschen ungehalten.
«Guter Gott, jetzt hör doch auf damit, Mia. Du bist im Augenblick wahrhaftig nicht in der richtigen Verfassung, um schwer wiegende Probleme mit dir zu erörtern. Ich möchte nicht, dass du eine Dummheit begehst. Du schläfst dich jetzt aus, und wenn du dich morgen besser fühlst, reden wir in aller Ruhe darüber.»
«Über Biller?»
«Ja, auch über den.»
Es war sehr lustig, fand ich. Er war mir auf den Leim gegangen. Ich musste lachen.
«Da wirst du mir morgen aber eine Menge zu erzählen haben», sagte ich.
«Ich weiß auch schon, was du mir erzählen wirst.»
Ich senkte die Stimme, sprach so tief, dass ich fast ein wenig nach ihm selbst klang. Früher
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