Roberts Schwester
Kein Mensch wartet auf dich.»
Kein Mensch, nur Piel, ein verschrumpelter Garten- zwerg, der den Schmerz in meinem Kopf völlig ignorierte. Er drängte:
«Weiter, Mia, weiter. Wo sind Sie jetzt?»
Gott, war er blöd. Er musste doch sehen, dass ich auf seiner Couch lag. Mein Kopf schmerzte immer noch. Ich hatte mich höllisch an diesem verfluchten Balken gestoßen, war minutenlang ganz benommen gewesen. Piel forderte mich dreimal hintereinander mit beschwörender Stimme zur Konzentration auf und bohrte:
«Was tun Sie jetzt?»
Er war wirklich ein Trottel, er bemerkte nicht, dass ich aus den unergründlichen Tiefen meines schwarzen Lochs wieder an die Oberfläche gekommen war. Als es ihm endlich auffiel, erzählte er mir etwas von starken Emotionen, von abblocken. Ich blockte nicht ab. Es war alles wieder da. Ich war um das Haus herum zur Garage getorkelt, ein Stück weit sogar gekrochen. Ich hatte die beiden Öldosen aus Roberts Garage geholt, die Motorhaube meines Wagens hochgestemmt. Es war eine elende Plackerei mit nur einem Arm. Ich hatte mich krampfhaft zu erinnern versucht, welchen Treffpunkt Robert genannt hatte. Er hatte einen Treffpunkt genannt. Er hatte mir nicht geglaubt, dass wir ihn nur ein wenig hatten foppen wollen. Ich war so wütend auf Serge, ich war fest entschlossen, ihn bei der nächstbesten Gelegenheit zu feuern. Alle wollte ich sie auf die Straße setzen, alle. Und dann würde es mit Robert und mir wieder so sein wie früher. Auch wenn er es jetzt noch nicht glaubte. Dann fuhr ich. Es ging ganz automatisch. Ich wusste sogar den Weg. Ein Rastplatz an der Autobahn. Und dann kam ich an, und da stand Roberts Wagen. Es regnete heftig, aber ihn störte das nicht mehr. Er hatte die Scheibe auf seiner Seite ganz heruntergelassen. Der linke Ärmel seines Jacketts war bereits durchnässt, das linke Bein seiner Hose auch. Der Briefumschlag in seiner rechten Hand war noch trocken, aber der kleine Colt in seiner linken war feucht geworden. Ich weiß nicht, wie lange ich neben seinem Wagen stand, ich weiß es wirklich nicht. Aber ich weiß noch, dass ich ihn nicht anrührte, weder den Wagen noch Robert. Ich konnte nicht. Da war dieses kleine Loch in seiner Schläfe und der dünne Blutfaden, der ihm über die Wange lief. Es war dunkel, aber ich sah das sehr gut. Irgendwann beugte ich mich in den Wagen, nahm zuerst den Colt, dann den Umschlag an mich, Als ich in die rechte Tasche seines Jacketts griff, berührte ich seine Hand. Sie war warm. Auch der Schlüssel zu meinem Atelier war warm. Ich setzte mich in meinen Wagen, und zuerst wollte ich wirklich nur sterben. Es war doch die einzige Möglichkeit, bei Robert zu bleiben, ihm dahin zu folgen, wo er jetzt war. Aber dann wollte ich doch vorher noch wissen, warum er dorthin gegangen war, in die große Dunkelheit oder in den ewigen Frieden. Es kam wohl darauf an, woran man glaubte. Ich glaube nur an die Dunkelheit, Robert hatte vielleicht an den Frieden geglaubt, also konnten wir nicht zusammenkom-men. Und seine Gründe waren ganz einfach. Ein Mann zwischen zwei Mühlsteinen. Sein Brief war an mich gerichtet, nur an mich. Ich liebe Isa, schrieb er, und ich liebe dich, Mia. Und ich weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll. Ich stehe so tief in deiner Schuld, dass ich nicht einfach sagen kann, ich gehe jetzt. Aber bleiben kann ich auch nicht. Nicht einen Tag länger, weil du mich jeden Tag erneut unter Druck setzen würdest, dass ich Isa verlassen soll, dass ich sie fortschicken muss. Ich kann das nicht, ich liebe sie zu sehr. Und du Mia, du hast schon so viel für mich getan. Ich möchte, dass du noch etwas für mich tust. Du wirst nicht zusammen mit Isa und Jonas unter einem Dach leben wollen, du musst es auch nicht. Ich habe alles Notwendige veranlasst, damit sie für sich sind und du zur Ruhe kommst. Lass sie in Frieden gehen. Tu es mir zuliebe. Wie ich dir zuliebe gegangen bin. Robert Der Brief war auf dem Computer verfasst und nicht einmal per Hand unterschrieben. Und er war sehr schwülstig, fand ich. Es war nicht Roberts Stil. Romantik ja, Leidenschaft und innere Glut, aber kein Schmalz. Lass sie in Frieden gehen. Wie ich dir zuliebe gegangen bin. Ich riss das Stück Papier in ganz kleine Fetzen. Die meisten behielt ich in der Hand. Ein paar wehten ins Freie, weil ich die Tür aufgelassen hatte, um den Brief lesen zu können. Ich hatte den Schalter für die Innenraumbeleuch-tung nicht gefunden. Dann fuhr ich los, hielt die linke Hand aus dem Fenster
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