Roberts Schwester
Bestandteile zerlegt worden. Einmal das Rauschen, einmal die Männerstimme. Wolbert verlangte, dass ich mir beides noch einmal getrennt anhörte, nicht nur ich, auch Isabell und Jonas wurden um ihre Aufmerksamkeit gebeten. Aber er ging nicht so weit, von mir zu verlangen, dass ich ihn hinaufbe-gleitete. Ich durfte mich in Roberts Arbeitszimmer der Stimme von Serge widmen. Sie hatte durch die Trennung nicht eben an Qualität gewonnen, kam mir noch fremder vor, sehr viel fremder, irgendwie verzerrt oder verstellt. Anscheinend hatte Serge sich große Mühe gegeben, nicht gleich von Robert an seiner Stimme erkannt zu werden. Zweimal spielte Wolbert mir das kurze Bandstück vor, dann resignierte er vor meinem Kopfschütteln. Und dann kam er auf meinen Wagen zu sprechen. Ein winziges Loch im Ölfilter. Bei laufendem Motor wurde das Öl förmlich herausgepresst. Seine Experten hatten ausgerechnet, mit welcher Geschwindigkeit ich wie weit gekommen wäre, zwei Liter Motoröl vorausgesetzt. Es hätte gereicht, einmal Rastplatz und zurück. Es stellte sich nur noch die Frage, wie das Loch in den Filter gekommen war. Kein Verschleiß und keine Schlamperei in der Werkstatt, ein spitzer Gegenstand, vielleicht ein kleiner Nagel, und rohe Gewalt. Wolbert betrachtete meinen Arm. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte ich wieder so etwas wie einen kleinen Triumph. Hatte ich es Lucia nicht genauso erklärt? Es waren keine Hirngespinste, es waren nackte Tatsachen. Und dann erklärte Wolbert, dass Robert montags in der Werkstatt gewesen sei, während sie die Inspektion machten. Er hatte mit dem Kfz-Meister gesprochen und ihn gebeten, das Fahrzeug stillzulegen. Nicht einfach nur gebeten. Fünftausend Mark hatte er dem Mann geboten, dafür sollte er sich etwas einfallen lassen, was mich nicht stutzig machte. Der Mann hatte sich geweigert. So vermutete Wolbert nun, dass Robert zu einem Nagel gegriffen hatte. Ich sah da einen Widerspruch. Immerhin hatte Robert sich erboten, den Wagen für mich … Wolbert sah keinen. Natürlich hatte Robert Motoröl besorgt. Aber wo stand geschrieben, dass er es auch hatte einfüllen wollen? Warum hatte er mir den Abschleppdienst ausgeredet? Es wäre wohl die letzte Fahrt für den Motor gewesen. In mir hatte etwas abgeschaltet, schon ehe Wolbert mir erklärte, dass Robert es gewesen war, der mich ans Haus hatte fesseln wollen. Die Leiche meines Bruders war freigegeben, einer Leiche konnte ich nicht böse sein. Ich wäre auch dem lebenden Robert nicht böse gewesen. Irgendwie verstand ich ihn ja. Wenn ich mir vorstellte, er wäre ständig betrunken in der Gegend herumgefahren, ich hätte immerzu Angst um ihn haben müssen. Aber das hatte ich doch, unentwegt Angst um ihn. Unter der Angst war meine Liebe fast erstickt. Und abends saß ich allein im Esszimmer. Lucia zog es vor, die Mahlzeit mit Isabell und Jonas einzunehmen. Ich dachte daran, Serge anzurufen. Es schien plötzlich, als ob er der letzte Mensch sei, an den ich mich noch wenden konnte. Vielleicht musste ich ihn fürs Zuhören ebenso bezahlen wie für die Stunden auf seinem Bett. Aber nicht einmal das wagte ich mehr. Ich hatte Angst, er hätte keine Zeit oder Angst vor mir. Die halbe Nacht lag ich wach, grübelte und drehte mich damit nur im Kreis. Einmal Rastplatz und zurück! Horst Fechner war tot, Jonas saß im Rollstuhl, Isabell schlief mit ihrem Bruder, mein Therapeut gab ihr das Alibi für die Tatzeit. Und Biller war nur ein Name. Auch am nächsten Morgen mied Lucia meine Gesellschaft, das Frühstück nahm sie zusammen mit Isabell im Zimmer von Jonas ein. Sie trug sogar selbst das Tablett hinauf. Gegen zehn rief Olaf an, um mir mitzuteilen, dass Roberts Leiche in ein Beerdigungsinstitut überführt worden sei. Olaf sprach immer noch so distanziert, in knappen Sätzen, er vermied jedes persönliche Wort. Er hatte den Termin für die Beerdigung auf den Freitag festsetzen lassen, um fünfzehn Uhr. Er hatte inseriert, zusätzlich ein paar Leute persönlich informiert.
«Lucia möchte ihn bestimmt noch einmal sehen», meinte er.
«Die Möglichkeit dazu besteht am Nachmittag. Sie werden die Leiche herrichten, haben sie mir gesagt.»
Ob ich Robert noch einmal sehen wollte, schien ihn nicht zu interessieren. Er erbot sich, Lucia abzuholen und sie in das Beerdigungsinstitut zu bringen.
«Ich komme mit», sagte ich.
«Wie du möchtest», sagte Olaf kühl. Er holte uns kurz nach fünfzehn Uhr ab. Eine gute halbe Stunde später standen wir zu dritt vor dem
Weitere Kostenlose Bücher