Robina Krux
erschienen die 35 Jahre wie eine Ewigkeit. Allerdings konnte sie sich vage vorstellen, dass eine solche Zeitspanne auch verdammt kurz sein konnte, dann, wenn man mit der Zeit etwas anzufangen wusste. ‘Wie hieß das?’„Lebenslänglich!“ Sie sagte es laut. ‘Eine Strafe für Schwerstverbrecher, früher. Aber selbst die hatten Kontakt mit anderen Menschen.’
Robina fühlte, wie sie fröstelte trotz der ausgeglichenen Temperatur in der Kabine. Dann straffte sie sich. „Ha, da brauche ich mit Proviant und Sauerstoff überhaupt nicht zu sparen!“
Wenig später, kleinlaut, beugte sie sich zum Datentaster und begann, ihre Energiebilanz zu berechnen. Ihr war plötzlich bewusst geworden, dass sich hier die Lebenserwartung noch einmal verkürzen könnte.
Für diese Bilanz benötigte Robina zwei Tage. Sie kam schlecht zurecht mit dem Rechnen.
Was der Reaktor noch hergeben würde, ließ sich in etwa ablesen, aber da gab es noch das mechanische Stromaggregat, den dazugehörigen Treibstoff.
Sie musste die Sauerstoffbilanz ändern, da sie den Einsatz des Gases bei der Verbrennung herkömmlicher Brennstoffe vergessen hatte. Sie lächelte, als sich dadurch der Vorrat von 103 auf 97 Jahre verringerte.
Schließlich wurde mit einiger Sicherheit klar, dass die Energie, die in der Kabine die Lebensbedingungen garantieren sollte, etwa 63 Jahre reichen würde.
‘Warum haben wir ausgerechnet so wenig Wasser hertransportiert?’ Diese Frage meinte sie nicht ernst; denn sie wusste, dass noch weitere Transporte folgen sollten. Maschinen hatten sie vorgesehen, eine Auswahlbibliothek und noch Wasser.
Jetzt, da sie an die Bibliothek dachte, hätte sie losheulen mögen. Welch ein Zeitvertreib wäre das gewesen!
‘Quatsch – wenn, hätte…’, Robina seufzte.
‘Was wohl Boris empfindet, wenn er von mir hört? Gewiss weiß er, dass ich zur Besatzung der REAKTOM zählte – freilich, aufregend ist so ein Raumstart nicht, aber immerhin mit einem so modernen Schiff… Er wird auch wissen, dass zwei Männer und zwei Frauen an Bord gingen. Ob er der Meinung ist, ich sei über den Berg – ob er überhaupt gemerkt hat, dass er mir weh getan hat, als er mich verließ?
„Dir geht alles zu sehr unter die Haut, Robi“, hatte er öfter gesagt, „du musst trainieren, versuchen, die Dinge leichter zu nehmen, jeder Situation das Beste abgewinnen, weißt du.“
Längst wird er der Meinung sein, dass ich an unsere Zeit wie – wie an einen, na, schönen Ausflug, an glückliche Ferien zurückdenke, so wie er vielleicht. Und – hat er nicht Recht? Ist es nicht wirklich das Beste so?
Frank hat gewusst, taktvoll hingenommen, dass mit das noch anhängt, noch eine Weile anhängen würde. Nur einmal hat er davon gesprochen, ein paar Sätze nur. „Du wirst es ganz überwunden haben, wenn wir daheim sind. Hier im Raum hast du zuviel Muße zum Grübeln. Unsere Zeit, Robi, kommt daheim. Pass auf, das erste Frühjahr verbringen wir in der Südsee. Es gibt da noch einiges Unberührte, wieder Paradiesisches. Und wenn wir gemeinsam durch die Wellen flitzen, abends mit Freunden am Feuer sitzen oder unsere Filme aufbereiten…“ Sie werden am Feuer sitzen, Frank, deine Freunde, die Sporttaucher, aber ohne ihren Freund, den Raumfahrer, der so gut zu grillen verstand, und ohne Robina. Ab und an werden sie noch von ihm sprechen. Boris von mir nie…’
Nur schwer konnte sich Robina am nächsten Tag zu einer Tätigkeit aufraffen. Sie räumte lustlos die Kabine auf, sortierte ihre Berechnungen. Dann entschloss sie sich, nach draußen zu gehen, ohne Ziel.
Es dauerte lange, bis sie sich umgezogen hatte; immer wieder versank sie ins Sinnieren.
Oft stellte sie sich die Frage, ob es vorteilhaft sei, zu wissen, wann alles vorbei ist – für bestimmte Situationen wahrscheinlich. Man konnte sich die Zeit einteilen, ein Maß finden, zwischen persönlichem und gesellschaftlichem Tun. Man kannte das Ziel.
‘Und’, dachte Robina, ‘könnte es auch zur Resignation, zum Verschlampen führen? Vater dürfte es – vielleicht – nicht wissen, Ed fände es nützlich. Ich…
Oder ob dieses Wissen die Menschen ändern würde, ob sie, angestachelt durch die Angst, etwas nicht mehr zu schaffen, zielstrebiger, in ihrem Wirken effektiver werden könnten?’ Robina schränkte ein: ‘Natürlich unter normalen äußeren Bedingungen.
Ob aber nicht die vielen, scheinbar nebensächlichen Dinge am Rande des Alltags, die das Leben spritzig machen, verschwänden, weil
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