Robina Krux
vorzüglich. Mit kleinstem Energieeinsatz ließen sich saubere, millimetertiefe Rillen in die Flächen schmelzen und mit Geschick und Übung auch exakte Buchstaben. Dass es sich sehr umständlich anließ und auch lange dauern würde, kam Robina gerade recht.
Sie hatte überlegt, wie sie zunächst für die Sprache der Menschen Verständnis schaffen könne. Sie wollte einfach darzustellende Symbole verwenden, von denen man annehmen konnte, dass sie die Anderen zu deuten verstünden. Und zum Erlernen der Sprache würde sie an diese Symbole die Namen schreiben.
An den Anfang setzte sie das Alphabet der Intersprache und die Ziffernfolge von null bis neun. Danach zeichnete sie: Dreieck, Viereck, Kreis – und setzte die Namen hinzu.
Sie schloss einfache geometrische Beziehungen an, strapazierte Pythagoras und Euklid, Thaies und verschiedene, ihr noch geläufige Konstruktionen.
Auf den nächsten „Seiten“ stellte sie die wenigen, ihr bekannten Symbole aus dem periodischen System der Elemente dar, malte Atommodelle.
Dann versuchte sie sich am Sonnensystem, hob die Erde besonders hervor und setzte einige Zeichnungen hinzu, die Raumfahrt betreffend. Sie machte deutlich, auf welchen Planeten sich bereits Observatorien befanden, und kennzeichnete besonders die Mondstadt und die dort befindliche Raumschiffreede. Sie gab auch eine Darstellung der Zeitberechnung und der Route, die die REAKTOM zurückgelegt hatte.
Sie zeichnete den Boliden als eine Art Seeigel, darauf einen Strichmenschen mit ihrem Namen und in kurzer Entfernung einen Explosionsherd mit drei Menschen, die sie anschließend deutlich durchstrich. Dabei befiel sie erneut Wehmut. Es war ihr erstes konkretes Bekenntnis zur Katastrophe. Als sie darüber erschrak, machte sie anschließend ein dickes Fragezeichen daneben, obgleich die Fremden damit sicher nicht viel anfangen konnten.
Obwohl grober Vereinfachung bewusst, versuchte sie sich auch im Biologischen. Sie symbolisierte die Zweigeschlechtlichkeit, wobei sie bei der Menschendarstellung nur eine Art beleibter Strichmännchen zuwege brachte, was sie sehr enttäuschte. Sie tröstete sich damit, dass ihr eigener Körper, die Leiche einer knapp 60-jährigen Frau, als bestes Anschauungsobjekt wahrscheinlich noch vorhanden sein würde. Nun war Robina während der Ausbildung nie eine Koryphäe in künstlerischer Betätigung gewesen. Trotzdem zeichnete sie Tiere und Pflanzen. Sie hatte sie auf dem Datentaster, so gut es ging, entworfen und übertrug sie nun nach dem Quadratverfahren.
Als sie später ihr Werk betrachtete, begann sie die Fremden von Herzen zu bedauern. Sollten sie später die Erde besuchen, würden sie – allein auf Robinas Darstellungen hin – unter größter Vorsicht landen, aus Angst vor klobigen, furchterregenden Fabelungeheuern.
Robina zeichnete Häuser und Möbel, Fahrzeuge und andere Gebrauchsgegenstände. Die Zeichnungen erschienen ihr nicht viel besser als jene, die sie in den ersten Jahren auf der EVO produziert hatte. Sie erinnerten an Höhlenzeichnungen der Steinzeitmenschen.
Eine Geschichtsdarstellung sollte die Einleitung abschließen: Robina plante, ein breites Band historisch bedeutender Ereignisse quer über den Kristall zu ziehen.
Sie spürte ihre Besessenheit, ihren Übereifer, ja die Hektik, mit der sie die Arbeit anging. Sie war sich des Unsinnigen einer solchen Einstellung bewusst, die dazu führte, dass sie – müde und zerschlagen von der meist mehr als zehnstündigen ungewohnten und nicht ungefährlichen Arbeit – auf die abendliche Rückkehr zur Grotte verzichtete. Sie kroch einfach in’s Wrack und schlief dort im Skaphander.
In der ersten Woche fuhr sie nur zurück, um die Vorräte zu ergänzen – und einmal benötigte sie eine Ersatzdüse für den Brenner.
Robina tat nichts gegen diese Lebensweise, zumindest nicht in den ersten Wochen; die Leistungen an den einzelnen Tagen stellten sie nicht zufrieden, sie nahm sich immer mehr vor, als sie schaffte. Dass sie viel, viel Zeit hatte, zählte nicht.
In der Tat war die Technologie des Feuergravierens nicht sehr effektiv. Da Robina den Ehrgeiz entwickelte, so gut zu arbeiten, wie sie es vermochte, benötigte sie für einen Buchstaben mehr als eine Minute. Für das Umsetzen einer Seite bedeutete das einen Zeitaufwand von 39 Stunden. Robina befürchtete, dass ihr Leben, die Frist, die ihr noch verblieb, zur Vollendung ihres Lebenswerkes, wie sie es nicht ohne Stolz nannte, nicht mehr ausreichen könnte.
Nach 211 Tagen
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