Robinas Stunde null
REAKTOM mit ihrer
Mannschaft zurück? Aber wenn dem so wäre, warum senden
sie den Hilferuf und keine weitere Nachricht, sondern nur die
Position? Und warum, zum Teufel, tun wir nichts?’ Die etwas
lakonische Antwort Li Tschans auf die dringende Anfrage war:
„Der Rat entscheidet! McLean empfängt das Signal.“
Sophie wanderte in ihrer kleinen Zelle umher.
,Da rasen zwei von intelligenten Wesen geschaffene Körper
aufeinander zu, und niemand tut…’
In diesem Augenblick erscholl Li Tschans erregte Stimme:
„Achtung. Körper fixieren!“
Noch ehe Sophie begriff, gab es einen mächtigen Schub, sie
wurde gegen das Bett geschleudert, verspürte einen grässlichen
Schmerz im Schienbein und fand sich an der Wand wieder,
gegen die sie von unsichtbarer Kraft gepresst wurde.
Aus der Sprechanlage drangen heftig hervorgestoßene
fremdsprachige Wörter. Dann sachlich: „Es wurde
Gegenschub geschaltet. Wir bremsen den Flug. In fünfzehn
Minuten koppelt die MARS vier ab. Leitet den normalen
Landeanflug ein. Wir schauen uns an, was da kommt. Vom Rat
haben wir den Auftrag, uns darauf vorzubereiten, es
einzufangen. Das bedeutet zunächst Geschwindigkeit null,
wenden und bis zum Parallelflug mit dem Ding beschleunigen.
Es sei denn, dieses reagiert und entwickelt eine eigene
Strategie. Also, macht’s gut. Mit der MARS vier im Schlepp
kann ich das nicht.“
Nur einen winzigen Augenblick empfand Sophie das
Unprofessionelle dieser kurzen Ansprache und des Menschen,
der sie gehalten hatte. Und es wurde ihr bewusst, welch riesige
Aufgabe überhaupt auf den paar Individuen lastete, aus denen
jetzt die Menschheit bestand. Und für sie überraschend fiel ihr
die Gruppe junger johlender Leute ein, die sie vor kurzem bei
Darmstadt gesehen hatte. Dann versetzte sie sich rasch ins
Geschehen zurück.
Lug hatte den Vorausschirm der MARS 4 aktiviert und die
Lichter in der Zentrale gelöscht: Der gleiche tiefschwarze,
goldenpunktige und starre Schlund mit der hellen runden
Scheibe, keine flirrenden Linien und Knoten. Obgleich die
nächsten Minuten nichts Spektakuläres erwarten ließen,
standen die vier Menschen, starrten ins Firmament und hegten
sicher jeder ähnliche Gedanken: Da draußen geschah
Unerhörtes, und dieses wurde nur einer Handvoll Insidern
zuteil, die durch jüngstes schlimmes Geschehen mehr oder
weniger die Fähigkeit verloren hatten, Großartiges als solches
zu empfinden.
Lug schaltete auf den Heckschirm. Eine graue Fläche glitt
darüber. Rechts und links Ausschnitte des schwarzen
sternenübersäten Himmels, und wieder grauer Metallmantel,
Davids, die in ihre Ausgangslage zurückschwenkten,
Messfühler: Der Bug der TELESALT 4. Die Teilbilder
verschmolzen, schließlich füllte das gesamte Schiff das Bild,
hellleuchtend, weil im Licht der aus diesem Blickwinkel nicht
sichtbaren Sonne. Und scheinbar immer kleiner werdend
ordnete sich das Schiff in das Sternengeflimmere ein.
Unmerklich für die vier in der Zentrale hatte sich die MARS
4 vom Trägerschiff gelöst und setzte antriebslos mit steter
Geschwindigkeit den Kurs fort, während die TELESALT 4
ihren Flug weiterhin stark verlangsamte.
„Auf Position!“, ordnete Lug an. –
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„Es ist ein Winzling von einem Flugkörper; wir meinen, ein
Landeboot“, informierte Li Tschan.
„Die REAKTOM führte zwei mit“, rief Sophie erregt.
Sie befanden sich im Leitstand des Marsobservatoriums,
Lucie Blackhill, Leo Tschernikow, Emanuel Mendozza und
Sophie Merhoff, das gesamte Team der Einrichtung. Man hatte
sie, gleichsam als Entdecker des unerhörten Ereignisses, in
eine Konferenzschaltung mit dem Rat unter McLean und der
Besatzung der TELESALT 4 einbezogen.
Li Tschan lächelte vom Schirm. „Ja“, sagte er. „Kaum
vorstellbar, dass man mit einem solchen gebrechliches
Ding…“ Er unterbrach sich. „Kein Lebenszeichen.“ Er blickte
ernst. „Es ist eingefangen, an der TELESALT vier fixiert und
zweifelsfrei irdischen Ursprungs. Eine große Zwei prangt am
Bug, dahinter eine siebenstellige, lateinische Zahlen- und
Buchstabenfolge. Es flog antriebslos mit einer
Geschwindigkeit von rund zweihunderttausend Kilometern pro
Sekunde. Ich möchte wissen, wie es diese erreichte. Wir hatten
Mühe, uns mit dieser Last auf Anfluggeschwindigkeit herab zu
bremsen. Ich bitte um Erlaubnis, das Boot im BondKosmodrom und nicht auf der Erde niederbringen zu dürfen
und dort erst, in der großen Schleuse, es zu öffnen. Im Raum
scheint mir das Risiko zu groß. Wir wissen
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