Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe) - Defoe, D: Robinson Crusoe (Illustrierte Ausgabe)
kramte, ein Säckchen wieder in die Hand, das, wie früher bemerkt wurde, mit Korn zum Futter des Geflügels gefüllt gewesen war. Der geringe Rest des Korns war von den Ratten im Schiff gefressen worden, und ich hatte nur Hülsen und Staub in dem Säckchen bemerkt; da ich dieses zu einem anderen Zweck benutzen wollte (ich glaube bei der Verteilung des Pulvers), so hatte ich die Kornhülsen an die Seite meiner kleinen Festung unter dem Felsen ausgeschüttet.
Es war kurz vor dem großen Regen, dessen ich gedachte, geschehen, daß ich diesen Kehricht weggeworfen. Ich hatte mit keinem Gedanken mehr daran gedacht, als ich etwa einen Monat später einige grüne Halme aus dem Boden ragen sah, die ich anfangs für eine früher nicht bemerkte Pflanze hielt. Aber wie war ich erstaunt, als ich kurze Zeit darauf sich zehn bis zwölf Ähren daraus entwickeln sah, die ich als vollkommen gute grüne Gerste der europäischen oder vielmehr der englischen Art erkannte.
Ich vermag meine Empfindungen bei dieser Entdeckung nicht zu beschreiben. Bisher hatte ich überhaupt keine religiöse Weltanschauung gehabt; nur wenige Ideen dieser Art waren in meinem Kopf vorhanden gewesen, Alles, was mir widerfahren, hatte ich als Zufall oder, wie man so obenhin spricht, als Gottes Fügung angesehn. Um die Zwecke der Vorsehung und ihre Anordnung der Dinge dieser Welt war ich gänzlich unbekümmert gewesen. Als ich jedoch nun in einem Klima, von dem ich wußte, daß es sich nicht für Getreide eigne, Gerste wachsen sah, ohne eine Ahnung zu haben, wie sie dahin gekommen sei, wurde ich höchlichst betroffen, und ich begann zu glauben, Gott habe durch ein Wunder diese Ähren sprießen lassen, ohne daß ein Samenkorn vorhanden gewesen sei, und zwar lediglich, damit sie in dieser trostlosen Einöde mir zur Nahrung dienten.
Dieser Gedanke bewegte mir das Herz zu Tränen, und ich fing an mich selig zu preisen, daß um meinetwillen solch ein Naturwunder geschehen sei. Noch mehr stieg meine Überraschung, als ich in der Nähe, dem Fels entlang, auch noch andere Halme erblickte, die ich von meinem Aufenthalt in Afrika her als Reisähren kannte. Da ich nicht zu glauben wagte, diese seien auch nur zu meiner Erhaltung von der Vorsehung hierhergebracht, indem ich vielmehr überzeugt war, daß dergleichen noch mehr sich hier befinde, suchte ich auf dem ganzen mir bekannten Teil der Insel, in allen Ecken und unter jedem Felsen nach weiteren Ähren, aber ich entdeckte keine. Endlich fiel mir ein, daß ich ja den Sack mit dem Hühnerfutter an jener Stelle ausgeschüttet hatte, und nun begann die Sache ihr Wunderbares zu verlieren. Ich muß bekennen, auch meine Dankbarkeit für die göttliche Fügung fing an, durch die Entdeckung, daß das Ganze ein gewöhnliches Ereignis sei, sich zu mindern; wiewohl ich für ein Ereignis, das ja gerade so seltsam und unerwartet wie ein Wunder war, nicht minder hätte dankbar sein sollen. War es denn nicht wirklich ein Werk der Vorsehung, daß zehn oder zwölf Getreidekörner unversehrt blieben, als die Ratten alles Übrige vernichteten; wie auch das, daß ich diese Körner gerade an der bestimmten Stelle ausschütten mußte, wo sie in dem Schatten des Felsens sofort aufgingen, während sie, hätte ich sie irgend anderswo ausgestreut, in dieser heißen Jahreszeit hätten verdorren und umkommen müssen?
Wie man sich denken kann, bewahrte ich die Ähren, sobald sie reif geworden (es geschah gegen Ende des Juni), sorgfältig auf. Ich beschloß, die darin enthaltenen Körner wieder auszusäen, und hoffte dadurch bald eine hinreichende Menge Frucht zu erhalten, um Brot daraus bereiten zu können. Jedoch durfte ich erst im vierten Jahre mir erlauben, von diesem Korn zu essen, und selbst dann nur sparsam, wie ich seiner Zeit berichten werde. Ich verlor nämlich die ganze erste Aussaat, weil ich nicht die geeignete Zeit beobachtet und sie unmittelbar vor den trockenen Monaten ausgestreut hatte, so daß sie nicht aufkam, oder wenigstens nicht in erwünschter Menge Frucht trug.
Außer der Gerste fand ich, wie erwähnt, auch zwanzig bis dreißig Reishalme, die ich mit gleicher Sorgfalt aufhob und in gleicher Weise benutzte. Ich entdeckte nämlich eine Methode, die Körner zu kochen, statt das Mehl davon zu backen, wiewohl mir auch das Letztere später gelang. – Doch ich will jetzt wieder zu meinem Tagebuch zurückkehren.
Diese drei oder vier Monate hindurch arbeitete ich überaus angestrengt, um meine Einzäunung fertig zu bekommen. Am
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