Robinson Crusoe
ich eine Art wilder Tauben, die nicht wie Holztauben in Bäumen nisteten, sondern, ähnlich den Haustauben, in den Löchern der Felsen. Ich nahm einige Junge mit und bemühte mich, sie zahm aufzuziehen; aber als sie größer wurden, flogen sie davon, hauptsächlich wohl aus Mangel an Nahrung, da ich ihnen nichts zu geben hatte. Jedoch fand ich oft ihre Nester und nahm ihre Jungen, deren Fleisch sehr lecker war.
Während ich nun so haushielt, merkte ich, daß mir doch noch viele Dinge fehlten, von denen ich zuerst glaubte, daß ich sie niemals würde herstellen können. Bei vielen war es auch wirklich so; zum Beispiel gelang es mir nie, ein Faß zu binden. Ich hatte ein oder zwei Tönnchen, wie schon gesagt; aber es wollte mir durchaus nicht glücken, eines danach zu verfertigen, obgleich ich viele Wochen damit zubrachte. Ich konnte weder die Böden einsetzen noch die Dauben so dicht fügen, daß sie Wasser gehalten hätten. So gab ich auch das auf.
Ferner litt ich große Not an Kerzen, so daß ich gezwungen war, zu Bett zu gehen, sobald es dunkel wurde, und das war gewöhnlich gegen sieben Uhr der Fall. Ich erinnerte mich des Klumpens Bienenwachs, aus dem ich während meines Afrikaabenteuers Kerzen gemacht halle; aber ich halte jetzt keines. Das einzige Mittel war, daß ich den Talg der Ziegen, die ich getötet hatte, verwahrte und mir aus Ton eine Schale machte, die ich in der Sonne trocknen ließ, worauf ich einiges Werg als Docht hineintat und sie so als Lampe benutzte. Und dies gab mir Licht, wenn auch nicht so hell und stetig wie eine Kerze.
Mitten in aller Arbeit geschah es, daß ich beim Durchstöbern meiner Sachen einen kleinen Beutel fand, der, wie ich schon zuvor erwähnte, mit Hühnerfutter gefüllt gewesen war. Aber der kleine Rest Korn, der sich noch in dem Beutel befunden, war von den Ratten aufgefressen worden, und ich fand nur Hülsen und Staub darin, und da ich den Beutel für andere Dinge benötigte, ich glaube, um das Pulver darin zu verwahren, so schüttele ich die Kornhülsen an einer Seile meiner Festung unter dem Felsen aus.
Es war kurz vor dem eben erwähnten großen Regen, als ich das Zeug wegwarf; ich kümmerte mich nicht weiter darum. Ungefähr einen Monat später sah ich einige wenige Sprossen von irgend etwas Grünem aus dem Boden hervorschießen, das ich für irgendeine Pflanze hielt, die ich vorher nicht gesehen hatte. Aber ich war überrascht und tief betroffen, als ich nach kurzer Zeit zehn oder zwölf Ähren hervorkommen sah, die nichts anderes waren als grüne Gerste, von derselben Art wie unsere europäische, nein, wie unsere englische Gerste.
Es ist unmöglich, das Erstaunen und die Verwirrung meiner Gedanken bei diesem Anblick zu beschreiben. Ich hatte bisher ohne irgendwelche fromme Empfindung gehandelt; ich hatte in der Tat nur sehr wenig Begriff von Religion im Kopf, und alles, was ich bisher getan und was mir geschehen war, hatte ich nur als Zufall hingenommen oder, wie man so leichthin sagt, «wie es Gott gefällt». Aber als ich hier in einem Klima, in dem, wie ich wußte, kein Getreide gedieh, Gerste wachsen sah, ohne daß ich mir erklären konnte, wie sie hierhergekommen sei, fühlte ich mich seltsam erschüttert und begann mir einzureden, Gott habe dieses Korn durch ein Wunder ohne ausgesäten Samen wachsen lassen und es lediglich für meinen Unterhalt an diesen wilden, unseligen Ort versetzt.
Dies rührte mein Herz und lockte Tränen aus meinen Augen, und ich begann mich glücklich zu preisen, daß ein solches Wunder der Natur um meinetwillen geschehen sei. Und noch seltsamer wurde mir zumute, als ich an der ganzen Felswand entlang noch andere vereinzelte Halme stehen sah, die sich als Reishalme erwiesen, wie ich sie in Afrika hatte wachsen sehen.
Ich glaubte nicht allein, daß diese Gewächse wunderbare Erzeugnisse der Vorsehung für meinen Lebensunterhalt seien, sondern zweifelte auch nicht, noch mehr davon zu finden. Ich ging durch das ganze mir bekannte Gebiet der Insel und spähte in jeder Ecke und unter jedem Felsen nach mehr. Aber ich konnte nichts finden. Schließlich fuhr es mir wieder durch den Kopf, daß ich einen Beutel mit Hühnerfutter an dieser Stelle ausgeleert hatte, und nun war es mit dem Wunder vorbei, und ich muß gestehen, daß meine religiöse Dankbarkeit gegen Gottes Vorsehung sehr abgekühlt wurde, als ich entdeckte, daß das Ganze etwas sehr Gewöhnliches war, obgleich ich doch für diese seltsame und unvorhergesehene Fügung ebenso dankbar
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