Robocalypse: Roman (German Edition)
ein hungriger Pelikan. Seine kleinen Äuglein springen nervös hin und her.
Dann geht er auf die Kreatur zu, die er »Mikiko« nennt, und ich trete lieber einen Schritt beiseite. Auch ein paar andere Arbeiter sind in den Gang rausgekommen, doch wie ich bleiben lieber alle auf Distanz, so dass sich ein Kreis um die beiden bildet. Wer weiß schon, wie der komische alte Kauz reagieren wird? Gibt es eine Prügelei, wird man am Ende noch zum Chef gerufen.
Mr. Nomura zieht das Kleid wieder nach unten, schiebt der Puppe dabei aber aus Versehen ihre langen grauen Haare vors Gesicht. Dann wendet er sich seinen Zuschauern zu. Er bringt trotz allem nicht den Mut auf, jemandem direkt in die Augen zu schauen. Den Blick schüchtern zu Boden gerichtet, fährt er sich mit der Hand durch sein störrisches schwarzes Haar. Seine Worte spuken mir heute noch im Kopf herum.
»Ich weiß, dass sie eine Maschine ist«, erklärt er. »Aber sie liebt mich. Und ich liebe sie auch.«
Die anderen Arbeiter kichern wieder. Jun verbeugt sich vor der »Braut«, wie bei einer Trauung. Doch Mr. Nomura lässt sich nicht weiter provozieren. Resigniert senkt er die Schultern und dreht sich wieder zu Mikiko um. Er streicht ihr die Haare aus dem Gesicht und bringt ihre Frisur mit ein paar routiniert wirkenden Handgriffen in Ordnung. Dann stellt er sich auf die Zehenspitzen, langt über ihre Schulter und streicht auch das Haar am Hinterkopf glatt.
Der Android steht vollkommen still.
Plötzlich jedoch bewegen sich die weit auseinanderstehenden Augen ganz leicht. Die Puppe richtet den Blick auf Mr. Nomuras Gesicht, das nur wenige Zentimeter von ihrem eigenen entfernt ist. Der alte Mann schwankt sachte vor und zurück, während er keuchend die Haare glatt streicht. Dann passiert etwas Seltsames. Der Android verzieht das Gesicht, als habe er Schmerzen, und scheint den Kopf auf Mr. Nomuras Schulter legen zu wollen.
Doch stattdessen sehen wir alle fassungslos zu, wie der Roboter dem alten Mann ins Gesicht beißt.
Mr. Nomura kreischt und macht sich mit einem erschrockenen Ruck von dem Androiden los. Zunächst sieht man nur einen kleinen rosa Fleck, direkt unter seinem Auge. Schließlich quillt daraus helles Blut hervor und rinnt wie ein roter Strom Tränen die Wange hinab.
Man könnte eine Nadel fallen hören. Alle stehen da wie erstarrt. Jetzt sind wir diejenigen, die nicht wissen, wie sie reagieren sollen.
Verblüfft fasst Mr. Nomura sich an die Wange und betrachtet das Blut an seinen knorrigen Fingern.
»Warum hast du das getan?«, fragt er Mikiko – als könnte die ihm antworten.
Die Puppe schweigt. Sie hebt eins ihrer schwachen Ärmchen und packt mit ihren perfekt manikürten Puppenfingern Mr. Nomuras dünnen Hals. Er leistet keinen Widerstand, sondern sagt einfach nur mit erstickter Stimme: »Kiko, mein Liebling. Wieso?«
Was als Nächstes passiert, habe ich bis jetzt nicht verstanden. Die künstliche alte Frau … verzieht das Gesicht. Mit ihren schmalen Plastikfingern drückt sie Mr. Nomura die Luft ab, sieht aber gleichzeitig so aus, als würde sie schreckliche Höllenqualen durchmachen. Es ist ein erstaunlicher, faszinierender Anblick. Tränen rollen aus ihren Augen, ihre Nasenspitze ist ganz rot, ihr Mund verzerrt. Weinend würgt sie Mr. Nomura, und er wehrt sich nicht einmal dagegen.
Ich wusste nicht, dass Androiden Tränenkanäle haben.
Jun sieht mich entsetzt an.
»Nichts wie weg hier!«, ruft er mir zu.
Ich packe ihn am Arm. »Was ist hier los? Warum greift sie ihn an?«
»Irgendeine Fehlfunktion«, antwortet er. »Der Egel muss eine andere Befehlsreihe aktiviert haben.«
Dann stürzt er davon. Ich höre ihn über den Gang rennen, kann jedoch meine Augen nicht von Mr. Nomura und seiner Sexpuppe abwenden. Mit den anderen Arbeitern sehe ich entgeistert dabei zu, wie sie ihn unter Tränen erwürgt.
Die Hand hier habe ich mir gebrochen, als ich dem Roboter eine verpasst habe.
Kaum trifft meine Faust den Kopf des blöden Dings, zuckt der Schmerz bis in die Schulter hoch. »Au, verdammt!«, rufe ich laut. Wenn sie so menschlich aussehen, vergisst man schnell, wie hart sie unter ihrer elastischen Haut sind. Der Kopf der Puppe kippt nur leicht zur Seite, und ein paar graue Strähnen bleiben an ihrem feuchten Gesicht kleben.
Mr. Nomuras Hals lässt sie allerdings trotzdem nicht los.
Ich taumle rückwärts und betrachte meine Hand. Sie beginnt schon anzuschwellen, wie ein Gummihandschuh, den man mit Wasser füllt.
»So tut
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