Robocalypse: Roman (German Edition)
hervorschaut. Im Lichtschein kann ich erkennen, wie rot seine Bäckchen sind. Wenn er schläft, heizt sein ganzer Körper sich auf. Deshalb habe ich ihn auch früher so gut wie nie zu mir ins Bett gelassen, egal, wie sehr er sich gefürchtet hat.
»Du wirst Nolan nicht weh tun«, antworte ich und greife in die Truhe. Ich packe die Puppe, drücke beide Daumen in ihre Brust und flüstere direkt in ihr pausbackiges Babygesicht: »Weil ich dich nämlich jetzt kaputt mache. « Mit aller Kraft lasse ich den Hinterkopf der Puppe auf die Kante der Truhe niedersausen. Es gibt einen dumpfen Schlag. Doch gerade als ich nach Lebenszeichen in den kleinen Plastikaugen sehen will, presst die Puppe plötzlich die Arme an den Körper. Die weiche Haut zwischen meinem Daumen und meinem Zeigefinger klemmt nun in ihrer Achselhöhle, und mit dem harten Metall, das sich unter ihrem Futter verbirgt, kneift sie zu. Ich gebe einen lauten Schrei von mir und lasse sie zurück in die Kiste fallen.
In dem kleinen Haus draußen vor meinem Fenster geht das Licht an. Ich höre, wie sich eine Tür öffnet und wieder schließt.
Als ich in die Spielzeugtruhe schaue, sind alle Lichter darin erloschen. Das große tiefe Rechteck liegt in völliger Dunkelheit, aber ich weiß, dass in der Finsternis wahre Alpträume lauern. Hunderte von kleinen Zahnrädchen rattern, als die Spielzeuge in blindem Eifer übereinanderklettern, um zu mir heraufzugelangen. Dinosaurierschwänze schlagen wild um sich, Puppenbeine rutschen über glattes Plastik, und kleine Hände suchen gierig nach Halt.
Kurz bevor ich den Deckel zuknalle, dringt noch einmal die melodiöse helle Stimme aus der Truhe an mein Ohr. »Niemand wird dir glauben, Mathilda«, sagt sie. »Auch deine Mami nicht.«
Peng. Damit ist die Klappe zu.
Jetzt erst nehme ich meine Angst und den Schmerz so richtig wahr und fange aus vollem Hals an zu weinen. Ich kann nichts dagegen tun. Der Deckel der Truhe klappert bedrohlich, und drinnen kann ich die vielen kleinen Finger und Klauen am Holz kratzen hören. Nolan ruft erschrocken meinen Namen, aber ich kann nicht antworten.
Es gibt jedoch etwas, das ich unbedingt tun muss. Obwohl ich Rotz und Wasser heule, steht mir diese Aufgabe klar vor Augen: Ich muss unbedingt möglichst viele Sachen auf der Spielzeugkiste stapeln.
Die Spielzeuge dürfen nicht entkommen.
Als ich gerade Nolans kleinen Maltisch quer durchs Zimmer schleife, geht mit einem Mal das Licht an. Ich bin geblendet von der plötzlichen Helligkeit und spüre, wie sich zwei Hände mit stahlhartem Griff um meine Arme schließen. Die Spielzeuge haben mich erwischt.
Erneut schreie ich aus voller Kehle.
Mrs. Dorian zieht mich an sich und umklammert mich fest, bis ich endlich aufhöre, gegen sie anzukämpfen. Sie trägt ihr gelbes Nachthemd und riecht nach Hautcreme.
»Mathilda, was ist bloß in dich gefahren?« Sie geht vor mir in die Hocke und wischt mir mit dem Ärmel ihres Nachthemds das Gesicht ab. »Was hast du denn nur, Mädchen? Schreist hier rum, dass die ganze Nachbarschaft wach wird.«
Unter mächtigem Schluchzen versuche ich, ihr alles zu erzählen. Aber mehr, als ständig nur »das Spielzeug« zu stammeln, bekomme ich nicht hin.
»Mrs. Dorian?«, fragt Nolan.
Mein kleiner Bruder ist aus dem Bett gekrochen und steht im Schlafanzug vor uns. Unterm Arm hat er einen seiner geliebten Robo-Dinos. Obwohl ich immer noch weine, schlage ich ihm das Ding sofort aus der Hand. Nolan sieht mich mit großen Augen an. Bevor Mrs. Dorian mich zurückhalten kann, verpasse ich dem Dino einen kräftigen Tritt, so dass er unterm Bett landet.
Mrs. Dorian weicht ein Stück zurück und starrt mir mit besorgter Miene prüfend ins Gesicht. Dann fallen ihr meine Hände auf, und sie dreht sie erschrocken nach oben.
»Meine Güte, Kleine, du blutest ja.«
Ich drehe mich zur Spielzeugtruhe um. Sie steht so still und stumm da, als sei nie etwas geschehen.
Schließlich hebt Mrs. Dorian mich hoch und nimmt mich auf den Arm. Nolan hält sich mit einem seiner dicken Patschehändchen an ihrem Nachthemd fest. Bevor wir durch die Tür gehen, sieht sie noch mal ins Zimmer.
Sie betrachtet die Spielzeugkiste, die unter all dem Kram, mit dem ich den Deckel beschwert habe, kaum noch zu sehen ist. Malbücher liegen darauf, ein Stuhl, der Papierkorb, Schuhe, Kleider, Plüschtiere, Kissen.
»Was ist in der Truhe, Mathilda?«, fragt sie.
»B-B-öses Spielzeug«, stottere ich. »Es will Nolan weh tun.«
Ich bemerke, wie
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