Robocalypse: Roman (German Edition)
Der geschwungene Leuchter sieht aus wie ein Strauß Blumen, mit dem ich das Grab von Mrs. Henderson schmücke.
Vom Gang gehen insgesamt sechs Wohnungen ab. Ich klopfe an jede Tür, aber niemand antwortet. Still stehe ich fünf Minuten lang einfach da und lausche aufmerksam in die Dunkelheit hinein. Doch ich höre weder Stimmen noch andere Geräusche.
Außer Dawn und mir ist niemand mehr hier.
***
Am nächsten Morgen sitze ich in meinem Fernsehsessel und tue so, als würde ich schlafen. In Wirklichkeit denke ich jedoch darüber nach, ob ich nicht in Mrs. Hendersons Wohnung gehen sollte, um nach Konserven und anderen haltbaren Lebensmitteln zu suchen. Da erwacht Dawn plötzlich aus ihrer apathischen Starre und fängt endlich wieder an, mit mir zu sprechen.
Morgenlicht fällt durch die Stellen, an denen ich die Alufolie mit Klebeband an der Fensterscheibe befestigt habe, und zeichnet zwei große Rechtecke an die gegenüberliegende Wand. Dawn sitzt immer noch vor der zurückgeklappten Ecke, und helle Sonnenstrahlen umspielen ihr ernstes, entschlossenes Gesicht.
»Wir müssen hier weg, Marcus«, sagt sie. »Ich habe nachgedacht. Wir müssen raus aufs Land, wo die Autos nicht so gut fahren können und die Haushaltshelfer nicht so gut laufen. Verstehst du? Sie sind hier für die Stadt gemacht.«
»Wer?«, frage ich, obwohl ich’s natürlich nur zu genau weiß.
»Die Maschinen, Marcus.«
»Es muss sich um irgendeine Art Fehlfunktion handeln, nicht wahr, Liebling? Ich meine, Maschinen verhalten sich doch normalerweise nicht so. Sie …«
Meine Stimme verebbt. Ich kann niemandem was vormachen, nicht mal mir selbst. Dawn krabbelt zu mir herüber und nimmt zärtlich mein Gesicht in ihre rauhen Hände. Sie redet betont langsam und deutlich.
»Aus irgendeinem Grund sind alle Maschinen zum Leben erwacht, Marcus. Sie gehen auf Menschen los. Irgendwas ist furchtbar schiefgelaufen. Wir müssen aus der Stadt, solange wir noch können. Niemand wird uns zu Hilfe kommen.«
Der Nebel lichtet sich.
Ich nehme ihre Hände in meine und denke über ihren Vorschlag nach. Ich überlege ernsthaft, ob wir nicht versuchen sollten, aufs Land zu fliehen. Etwas Kleidung und Verpflegung zusammenpacken. Die Wohnung verlassen. Die Straßen entlanggehen. Über die George-Washington-Brücke aufs Festland rüber. Sich irgendwie bis zu den Bergen im Norden durchschlagen. Wären vermutlich nicht mehr als hundert Meilen. Und dann: überleben.
Unmöglich.
»Ich verstehe, was du meinst, Dawn. Aber wir haben keine Ahnung, wie man in der Wildnis zurechtkommt. Nicht mal einen Camping-Urlaub haben wir gemacht. Selbst wenn wir’s aus der Stadt schaffen, werden wir in den Wäldern verhungern.«
»Aber da werden auch noch andere sein«, hält sie dagegen. »Ich habe Leute mit Taschen und Rucksäcken gesehen, ganze Familien haben die Stadt verlassen. Ein paar von denen müssen es doch geschafft haben. Sie werden uns helfen. Wir werden alle zusammenarbeiten.«
»Das ist ja gerade, was mir die größten Sorgen bereitet. Da draußen wird es von Flüchtlingen wahrscheinlich nur so wimmeln. Keine Nahrung, kein Dach über dem Kopf. Manche von denen haben bestimmt auch Waffen eingepackt. Es ist viel zu gefährlich. Himmel, die menschliche Natur hat schon mehr Leute umgebracht, als sämtliche Maschinen es jemals könnten. Wir sollten bleiben, wo wir uns auskennen. Wir sollten in der Stadt bleiben.«
»Und was ist mit den Robotern? Sie wurden für die Stadt gebaut. Sie können Treppen steigen, aber nicht auf Berge klettern, Marcus. Sie können über Asphalt rollen, aber nicht über holprigen Waldboden. Sie werden uns kriegen, wenn wir hierbleiben. Ich habe sie dort unten gesehen. Sie gehen von Tür zu Tür.«
Beim letzten Satz habe ich das Gefühl, als würde mir jemand die Faust in den Magen rammen. Lähmende Übelkeit breitet sich in mir aus.
»Von Tür zu Tür?«, frage ich. »Warum tun sie das?«
Sie antwortet nicht.
Seit es gestern losging, habe ich kein einziges Mal nach draußen gesehen. Ich habe mich mit allen möglichen praktischen Maßnahmen beschäftigt, um nicht auf die Straße runterschauen zu müssen. Jedes Mal, wenn ich Dawn am Fenster stöhnen hörte, bestärkte mich das nur in meiner Entschlossenheit, mich in der Wohnung ans Werk zu machen und weiter wie mit Scheuklappen herumzulaufen. Nichts sehen, nichts hören, nichts denken.
Ich habe Dawn nicht mal von der armen Mrs. Henderson erzählt, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Grund
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