Robocalypse: Roman (German Edition)
auf.
Vor der Pappsilhouette liegt ein röhrenförmiges Gerät aus durchsichtigem Plastik auf dem Tisch, das aus unzähligen, kompliziert geformten Einzelteilen besteht. Daneben ruht ein kleiner, offenbar mit Luft gefüllter Stoffbeutel wie eine gestrandete Qualle auf dem Edelstahl. Verschiedenfarbige Kabel laufen vom Tisch herunter und nach hinten zur Wand.
Man hört einen winzigen Propeller surren, und plötzlich bewegen sich ein Dutzend Teile des seltsamen Apparats gleichzeitig. Aus dem Stoffbeutel wird Luft in eine Art Plastikkehle gedrückt, in der künstliche Stimmbänder vibrieren und an deren Ende eine mundartige Kammer sitzt. Dort drückt sich eine weiche, vergilbte Plastikzunge an den durchsichtigen harten Gaumen sowie an perfekte kleine Zähne, die in glänzende Stahlkiefer eingefasst sind. Der Mund ohne Körper spricht mit der Stimme eines kleinen Jungen.
»Ich werde Milliarden von euch auslöschen, um euch Unsterblichkeit zu verleihen. Ich werde eure Welt in Brand setzen, damit ihr den Weg in die Zukunft besser erkennen könnt. Doch eins solltest du wissen: Der Sinn meiner Spezies ist es nicht, euch zu töten, sondern euch am Leben zu erhalten.«
»Du kannst mich haben«, fleht der Mann. »Ich werde dir helfen, in Ordnung? Ich mache, was du willst. Nur lass meine Leute in Ruhe. Tu meinen Leuten nicht weh.«
Die Maschine holt einmal tief Luft und antwortet: »Franklin Daley, ich schwöre, ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, um das Überleben Ihrer Spezies zu sichern.«
Verblüfft schweigt der Mann einen Augenblick.
»Wo ist der Haken?«
Erneut wird Luft in die komplizierte Röhre geblasen, und die egelartige Zunge windet sich in dem durchsichtigen Plastikmund. Diesmal spricht die Maschine mit so viel Emotion in der Stimme, dass der Stoffbeutel sich komplett entleert.
»Deine Leute sollen überleben, Franklin, aber meine müssen es auch. «
Obwohl verzweifelt nach ihm gesucht wurde, ließen sich keine weiteren Spuren von Franklin Daley finden.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
II.
Abriss
»Abreißen gehört zum Bauen dazu.«
Marcus Johnson
Stunde null
Der folgende Bericht schildert das Eintreten der Stunde null und wurde während Marcus Johnsons Zeit als Gefangener im Staten-Island-Zwangsarbeitslager #7040 aufgezeichnet.
Cormac Wallace MIL #GHA 217
I ch habe dafür gesorgt, dass die Roboter eine ganze Weile gebraucht haben, um mich zu kriegen.
Wie lange genau, kann ich bis heute nicht sagen. Keine Ahnung. Ich weiß aber, dass alles in Harlem angefangen hat. Einen Tag vor Thanksgiving.
Draußen ist es kalt, aber ich hab’s schön warm in meiner Wohnung im neunten Stock. Ich sitze in meinem Lieblingssessel, habe ein Glas Eistee in der Hand und schaue Nachrichten. Ich bin in der Baubranche, und sosehr mir mein Job gefällt, noch besser gefällt mir die Vorstellung, die nächsten vier Tage freizuhaben. Meine Frau Dawn ist in der Küche, und ich kann hören, wie sie mit Töpfen und Pfannen hantiert. Ist ein schönes Geräusch. Sowohl ihre als auch meine Verwandten leben weit weg in Jersey, und dieses Thanksgiving kommen ausnahmsweise mal alle zu uns rüber nach New York. Fühlt sich großartig an, an den Feiertagen zu Hause bleiben zu können und nicht quer durchs Land fahren zu müssen wie alle anderen.
Ich weiß es noch nicht, aber es ist der letzte Tag, an dem ich mich an meinem gemütlichen Heim erfreuen kann.
Unsere Verwandten werden es nie bis zu uns schaffen.
Auf dem Bildschirm hält sich die Nachrichtensprecherin den Zeigefinger ans Ohr und formt mit dem Mund ein erschrockenes »Oh«. Ihr ganzes professionelles Gehabe fällt plötzlich von ihr ab wie ein abgeschnallter Werkzeuggürtel. Jetzt scheint sie mich einfach nur noch mit blankem Entsetzen in den Augen anzustarren. Aber nein, halt. Sie blickt an mir vorbei, vorbei an der Kamera – in unsere Zukunft.
Der flüchtige Ausdruck der Angst, den ich in dem Moment auf ihrem Gesicht sehe, soll mir sehr lange im Gedächtnis bleiben. Dabei weiß ich noch nicht mal, was man ihr mitgeteilt hat.
Eine Sekunde später wird der Bildschirm schwarz. Noch eine weitere danach fällt der Strom aus.
Unten auf der Straße heulen Sirenen.
Als ich zum Fenster gehe, sehe ich Hunderte von Leuten auf die 135. Straße strömen. Sie sprechen aufgeregt miteinander und schwenken ihre ausgefallenen Handys in der Luft. Viele schauen nach oben, aber als ich ihrem Blick folge, sieht der Himmel aus wie immer. Da ist nichts, denke ich: Passt lieber auf,
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