Robocalypse: Roman (German Edition)
mir.
»Komm mit, Yubin-kun «, flüstere ich.
Einen beunruhigenden Moment lang zögert die Maschine, doch dann gehorcht sie. Surrend folgt sie mir den Korridor entlang zu meiner Wohnung. Ich muss schnellstens zu meiner wehrlos schlummernden Mikiko zurück. Hinter mir knallt mit einem lauten Schlag die Fahrstuhltür zu. Ist da etwa jemand sauer?
Als wir um die Ecke biegen, ertönt eine Lautsprecherdurchsage.
»Achtung, Achtung«, sagt eine angenehme Frauenstimme. »Dies ist ein Notfall. Alle Bewohner werden aufgefordert, unverzüglich das Gebäude zu verlassen.«
Ich halte meinem neuen Freund die Tür zu meiner Wohnung auf und gebe ihm einen ermutigenden Klaps aufs Gehäuse. Die Durchsage ist natürlich eine Falle. Jetzt begreife ich. Die Seelen der Maschinen haben sich für das Böse entschieden. Sie sind gegen mich. Gegen uns alle.
***
Mikiko liegt auf dem Rücken, die Glieder schwer, das Gesicht wie versteinert. Im Gang heulen Sirenen, und Warnlichter blinken. Ich bin zum Aufbruch bereit. Ich habe meinen Werkzeuggürtel umgeschnallt und eine kleine Wasserflasche daran befestigt. Sogar meine warme Mütze habe ich aufgesetzt und die Ohrenklappen stramm unterm Kinn zusammengebunden.
Doch ich kann mich nicht dazu bringen, meine Liebste zu wecken – sie anzuschalten.
Im Gegensatz zu vorhin brennen im Haus jetzt sämtliche Lichter, und die angenehme Frauenstimme wiederholt in einem fort: »Alle Bewohner werden aufgefordert, unverzüglich das Gebäude zu verlassen.«
Sosehr ich es auch möchte, ich kann nicht weg. Ich kann Kiko nicht hier zurücklassen. Zum Tragen ist sie jedoch zu schwer. Wenn, dann müsste sie schon auf eigenen Füßen das Haus verlassen. Aber ich habe schreckliche Angst davor, was passiert, wenn ich sie anschalte. Das Böse, das Besitz von der Seele des Gebäudes ergriffen hat, könnte ansteckend sein. Es wäre unerträglich für mich, erneut jenen seltsamen, benebelten Ausdruck in ihren dunklen Augen zu sehen. Ich kann sie nicht verlassen, doch bleiben kann ich ebenso wenig. Ich brauche Hilfe.
Nachdem die Entscheidung gefallen ist, halte ich ihr die Hand vor die Augen.
»Bitte komm her, Yubin-kun«, flüstere ich dem Post-Robo zu. »Ich kann nicht erlauben, dass das Böse weiter mit dir spricht, so wie es mit Mikiko gesprochen hat.« Das Kontrolllämpchen der klobigen Maschine flackert unsicher. »Du musst jetzt kurz ganz stillhalten.«
Mit einem gezielten Schlag meines Hammers zertrümmere ich die Infrarot-Schnittstelle, mit der die Diagnosefunktionen des Roboters upgedatet werden. Jetzt können seine Befehle nicht mehr aus der Ferne umgeschrieben werden.
»War gar nicht so schlimm, oder?«, frage ich den Apparat. Dann blicke ich zu Mikiko hinüber. »Yubin-kun, mein neuer Freund, ich hoffe, du fühlst dich heute fit.«
Ächzend hebe ich Mikiko auf den Rücken des Post-Robos. Da er auch gelegentlich schwere Pakete transportieren muss, macht ihm das Gewicht nichts aus. Er richtet schlicht sein Kameraauge auf mich und folgt mir zur Tür, die ich vorsichtig aufziehe.
Auf dem Gang stehen die anderen Bewohner des Hauses geduldig Schlange. Ein verschlafener Rentner nach dem anderen öffnet die Tür am Ende des Gangs und verschwindet im Treppenhaus. Meine Nachbarn sind sehr ordnungsliebende, folgsame Menschen.
Doch die Seele des Gebäudes ist besessen.
»Halt, bleibt stehen«, murmle ich. Wie üblich schenkt mir niemand Beachtung. Höflich jeden Augenkontakt vermeidend, treten die Wartenden weiterhin der Reihe nach durch die Tür.
Mit meinem treuen Yubin-kun im Schlepptau erreiche ich den Zugang zum Treppenhaus gerade, als die letzte Frau die Tür öffnen will. Das Lämpchen über dem Ausgang verfällt in verärgertes gelbes Blinken.
»Mr. Nomura«, sagt das Gebäude in seiner freundlichen Frauenstimme. »Bitte warten Sie, bis Sie an der Reihe sind. Jetzt ist zuerst Frau Kami damit dran, durch die Tür zu gehen.«
»Gehen Sie nicht«, flüstere ich der alten Frau im Bademantel zu. Ich vermag nicht, ihr in die Augen zu sehen. Stattdessen packe ich sie sanft am Ellbogen.
Sie blitzt mich empört an, reißt den Ellbogen weg und drängt sich an mir vorbei. Bevor die Tür hinter ihr zufällt, kriege ich gerade so den Fuß dazwischen und kann hineinschauen.
Ich scheine direkt in einen Alptraum zu blicken.
Während die Deckenlampen das ansonsten dunkle Treppenhaus in wirres Stroboskoplicht tauchen, purzeln die gebrechlichen alten Leute auf den harten Betonstufen hilflos übereinander. Von
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