Robocalypse: Roman (German Edition)
herum und schlägt mir ohne Vorwarnung mit der Faust auf den Mund. Mein rechter oberer Schneidezahn schlitzt mir ein hübsches Loch in die Unterlippe. Jack hält die Fäuste noch oben, aber ich lege bloß den Finger auf die Stelle; klar, blutet.
»Ich dachte, nie ins Gesicht, du Arsch«, sage ich keuchend, und mein Atem bildet große Wolken in der kalten Luft.
»Da bist du selbst schuld, Mann«, antwortet er. »Ich wollte ja weglaufen.«
Die Ausrede kenne ich. So war er schon immer. Trotzdem bin ich ziemlich baff. Er hat mir noch nie zuvor ins Gesicht geschlagen.
Hab ich wohl doch größeren Scheiß gebaut, als ich dachte.
Aber Jack scheint es bereits leidzutun. Mit seinen klaren blauen Augen mustert er prüfend meinen Mund, um zu sehen, wie schlimm es ist. Dann wendet er grinsend das Gesicht ab. Nicht sehr schlimm, anscheinend.
Ich lecke mir das Blut von der Lippe.
»Sieh mal, Dad hat das Ding mir vermacht. Ich bin pleite. Ich hatte keine andere Wahl. Ich musste es verkaufen, um nach Estland zu kommen und wieder ein bisschen Geld zu verdienen. Was ist denn daran so schwer zu verstehen?«
Unser Dad hat mir ein besonderes Bajonett aus dem Ersten Weltkrieg vermacht. Ich habe es verkauft. Das war falsch, und das weiß ich auch, aber irgendwie kann ich das gegenüber Jack, meinem perfekten Bruder, nicht zugeben. Er ist bei der verdammten Bostoner Feuerwehr und außerdem Mitglied der Nationalgarde. Echtes Heldenmaterial.
»Es gehörte der Familie, Cormac«, hält er dagegen. »Paps hat sein Leben dafür riskiert. Es war Teil unserer Geschichte. Und du hast es für ein paar hundert Dollar verpfändet. «
Er hält inne und holt Luft.
»Okay, ich bin echt sauer. Ich kann gerade nicht mal mit dir reden, weil ich dir sonst noch eine verpasse.«
Wütend stapft Jack davon. Als die sandfarbene laufende Landmine am Ende des Tunnels auftaucht, reagiert er jedoch sofort.
»Achtung, passt auf! Schnell raus aus dem Tunnel. Eine Bombe!«, brüllt er. Seine Stimme strahlt eine solche Autorität aus, dass die Leute ihm unverzüglich gehorchen. Selbst ich. Ein paar Dutzend Passanten drücken sich flach an die Wand, während das sechsbeinige Gerät langsam an ihnen vorbei übers Pflaster stelzt. Die restlichen Leute strömen in geordneter Panik aus dem Tunnel.
Jack schreitet wie ein einsamer Revolverheld auf die Mitte des Tunnels zu. Aus einem Halfter unter seiner Jacke zieht er eine 45er Glock. Er schließt beide Hände um den Griff und richtet den Lauf auf den Boden. Zögernd gehe ich ihm hinterher. »Du trägst eine Pistole?«, flüstere ich.
»Viele von der Nationalgarde tragen eine«, gibt Jack zurück. »Hör zu, nimm dich gut vor dieser Krabbelmine in Acht. Sie mag langsam aussehen, ist sie aber nicht.«
»Krabbelmine?«
Jack hält den Blick die ganze Zeit auf den schuhkartongroßen Apparat gerichtet, der allmählich die Mitte des Tunnels passiert. Amerikanisches Militärgerät. Die sechs Beine bewegen sich der Reihe nach mit ruckhaften, mechanischen Bewegungen. Auf dem Rücken sitzt irgendein Laser, der um den Kasten herum einen roten Kreis auf den Boden wirft.
»Was macht das Ding hier, Jack?«
»Keine Ahnung. Muss aus der Waffenkammer der Nationalgarde stammen. Ist wohl im Diagnosemodus hängengeblieben. Mit dem roten Kreis lässt sich der Auslöseradius einstellen. Ruf sofort die Polizei.«
Bevor ich mein Handy hervorholen kann, hält die Maschine an. Sie lehnt sich auf die vier hinteren Beine zurück und hebt die zwei vorderen in die Luft. Sie sieht aus wie eine wütende Krabbe.
»Okay, zieh dich jetzt besser zurück. Sie sucht sich ein Ziel. Ich werde sie abknallen müssen.«
Jack hebt seine Pistole. Beim Rückwärtsgehen rufe ich: »Aber geht sie dann nicht hoch?«
Jack nimmt Schusshaltung ein. »Nicht, wenn man nur auf die Beine schießt. Ansonsten, ja.«
»Ist das nicht ein ziemliches Risiko?«
Die Krabbelmine strampelt mit den Vorderbeinen wie ein aufgebäumtes Pferd.
»Sie sucht nach einem Ziel, Cormac. Entweder schalten wir sie aus, oder sie schaltet einen von uns aus.« Mit zusammengekniffenen Augen nimmt Jack das Gerät ins Visier. Als er abdrückt, hallt ein ohrenbetäubender Knall durch den Tunnel. Die nächsten Schüsse höre ich schon kaum noch, so laut klingeln meine Ohren.
Ich zucke zusammen, aber es gibt keine Explosion.
Über Jacks Schulter hinweg sehe ich, dass die Krabbelmine auf dem Rücken liegt. Ihre drei verbleibenden Beine strampeln hilflos in der Luft. Dann dreht sich Jack
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