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Robur der Sieger

Robur der Sieger

Titel: Robur der Sieger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Verhältnisse herrschen würden; es darf hierbei auch
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    nicht vergessen werden, daß der Monat Juli der südlichen
    Halbkugel der Januar der nördlichen ist, also dem tiefsten
    Winter entspricht. Wenn die ›Albatros‹ noch weiter nach
    Süden vordrang, mußte sie die Folgen davon bald spüren.
    Das Meer aber »empfand das«, wie die Seeleute sagen.
    Am 18. Juli zeigte sich jenseits des Wendekreises des Stein-
    bocks ein anderes Phänomen, das gewiß jeden Schiffer er-
    schreckt hätte.
    Mit einer auf mindestens 60 Meilen in der Stunde zu
    schätzenden Geschwindigkeit zog über das Meer weg eine
    merkwürdige Reihe von leuchtenden Wellen, die einan-
    der in einer Entfernung von etwa 80 Fuß folgten und lang
    schimmernde Streifen zurückließen. Mit einbrechender
    Nacht strahlte der Widerschein davon sogar bis zur ›Alba-
    tros‹ hinauf, so daß diese jetzt wirklich für einen glühen-
    den kleinen Himmelskörper hätte gehalten werden kön-
    nen. Noch nie war es Robur vorgekommen, über ein Meer
    in Flammen hinwegzusteuern – über Flammen ohne Hitze,
    denen zu entfliehen er nicht nötig hatte.
    Die Elektrizität mußte offenbar die Ursache dieser Er-
    scheinung sein, denn etwa einer Fischlaichbank oder einem
    von jenen kleinen Geschöpfen gebildeten Zug, die zuweilen
    die Fläche des Meeres bedecken, konnte man sie nicht zu-
    schreiben.
    Das ließ vermuten, daß die elektrische Spannung der
    Luft jetzt sehr hoch sein müsse.
    Am folgenden Tag, am 19. Juli, wäre ein Schiff auf die-
    sem Meer wohl dem Untergang geweiht gewesen. Die ›Al-
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    batros‹ dagegen spielte mit Wind und Wellen, wie der ge-
    waltige Vogel, dessen Namen sie trug. Wenn es ihr nicht
    beliebte, wie ein Sturmvogel über die Meeresfläche hinzu-
    gleiten, so konnte sie wie der Adler in höheren Schichten
    Ruhe und Sonnenschein aufsuchen.
    Man hatte jetzt den 47. Grad südlicher Breite über-
    schritten. Der Tag dauerte nur noch 7 bis 8 Stunden, und er
    mußte mit der Annäherung an die antarktischen Gegenden
    noch immer kürzer werden.
    Gegen 1 Uhr nachmittags hatte sich die ›Albatros‹, um
    eine günstige Luftströmung aufzufinden, sehr tief gesenkt.
    Sie schwebte höchstens noch 100 Fuß über der Oberfläche
    des Meeres.
    Das Wetter war still. An einzelnen Stellen des Himmels
    zogen dicke, dunkle Wolken mit ausgezackten Rändern auf,
    die oben eine genau horizontale Linie bildeten. Aus diesen
    Wolken quollen langgezogene Protuberanzen hervor, deren
    Ende das Wasser anzuziehen schien, das darunter in Form
    eines flüssigen Straußes aufbrodelte.
    Plötzlich stieg das Wasser in Form einer ungeheuren
    Sanduhr hoch empor.
    In einem Augenblick wurde die ›Albatros‹ in den Wir-
    bel einer riesigen Trombe hineingezogen, der bald zwanzig
    andere von Tintenschwärze das Geleit gaben. Zum Glück
    vollzog sich die Drehung dieser Trombe entgegen der der
    Auftriebsschrauben, sonst hätten diese ihre Wirkung ganz
    eingebüßt und der Aeronef wäre ins Meer gefallen; jetzt

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    wurde er nur mit erschreckender Schnelligkeit um sich
    selbst gedreht.
    Immerhin war die Gefahr groß und schien unmöglich
    abwendbar, da der Aeronef sich nicht aus der Trombe los-
    machen konnte, deren Anziehung ihn trotz der Antriebs-
    schrauben zurückhielt. Durch die Zentrifugalkraft wurde
    die Mannschaft nach beiden Enden des Verdecks geschleu-
    dert und mußte sich hier an den Schraubenmasten festhal-
    ten, um nicht über Bord zu fallen.
    »Ruhig Blut!« rief Robur.
    Und das brauchten sie wirklich, und Geduld obendrein.
    Onkel Prudent und Phil Evans, die aus ihrer Kabine her-
    austraten, wurden nach dem Heck getrieben und hatten die
    größte Mühe, sich noch festzuklammern.
    Und während sich die ›Albatros‹ in dieser Weise um
    sich selbst drehte, folgte sie auch der Lageveränderung der
    Tromben, die mit einer Schnelligkeit, auf die ihre Schrauben
    hätten eifersüchtig werden können, sich weiterhin wanden.
    Sobald sie der einen entgangen war, wurde sie von einer an-
    deren gepackt und war stets in Gefahr, in Stücke zerrissen
    zu werden.
    »Einen Kanonenschuß!« rief der Ingenieur.
    Der Obersteuermann Tom Turner verstand völlig diesen
    an ihn gerichteten Befehl; er lehnte eben an dem kleinen
    Bordgeschütz mittschiffs, wo die Zentrifugalkraft weniger
    wirksam war. Schneller, als wir es beschreiben können, hatte
    er die Schwanzschraube des Rohrs geöffnet und führte in
    diese eine scharfe Patrone ein, von denen

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