Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
sind die Hells Angels nach wie vor eine Macht.
In dem Dienstzimmer eines hochrangigen Hamburger Ermittlers hing daher lange Zeit an einer Pinnwand hinter dem Schreibtisch unter anderem ein ausgeschnittener Artikel aus der »Bild«-Zeitung, Überschrift: »Der Kiez braucht uns.« In dem Text ließ sich der Ober-Angel Frank Hanebuth mit den Worten zitieren: »Wir haben in Hamburg seit Jahrzehnten die Vorherrschaft, sehr großen Einfluss.« Der Kriminalist hatte die Sätze gelb markiert und an den Rand geschrieben: »Seit 14 Jahren verboten.«
In Düsseldorf ist es ähnlich, dort spielen die Höllenengel vor allem in der Altstadt-Gastronomie und im Rotlicht eine entscheidende Rolle. Als im August 2009 in Düsseldorf der Hells Angel Michael F. seine Verlobte heiratete, wurde die Stellung der Rocker auch den Normalbürgern sehr deutlich. Für die 150 Angels, die im vollen Ornat zur Hochzeit fuhren, regelte die Polizei, wie bereits erwähnt, sogar den Verkehr. So viel zu Verboten in Theorie und Praxis.
Ein Phänomen, das der Polizei die Verfolgung krimineller Rocker immer wieder erschwert und mit dem sich die Kriminalisten ständig konfrontiert sehen, ist das der sehr vergesslichen Zeugen. Als sich im Mai 2007 etwa der Hells Angel Rayk Freitag und der Bandido Carsten D. in Berlin auf offener Straße prügeln, filmt ein junger Mann den Kampf sogar. Doch vor Gericht kann sich der Amateurfilmer Guido S. später angeblich an nichts mehr erinnern.
Und als der Frankfurter Hells Angel Peter B. im Oktober 2009 vor dem Lokal »My Way« einem Mann ins Gesicht geboxt haben soll, verläuft auch diese Untersuchung im Sande. »Aus dem polizeilichen Abschlussbericht ist ersichtlich«, heißt es in einem Schriftsatz des hessischen Innenministeriums, »dass der Geschädigte aus Angst vor Repressalien von einer Aussage Abstand nahm.«
Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Die Furcht der Menschen vor den Rockern ist groß, denn so unfähig der Staat ist, seine Zeugen wirkungsvoll und langfristig zu beschützen, so nachtragend können die Gangs sein. Allerdings hilft den Rockern oft schon ihr schlechter Ruf dabei, dass die vorauseilend eingeschüchterten Bürger bei der Polizei ihren Mund halten.
Im Falle des Frankfurter Hells-Angels-Charters »Westend« zum Beispiel führten etwa 550 Ermittlungsverfahren gegen dessen Mitglieder zu gerade einmal zu 70 Verurteilungen. »Was wollen Sie machen«, fragt ein LKA -Beamter, »wenn es plötzlich niemanden mehr gibt, der zu einer Aussage bereit ist?« Wenn man zudem unterstellt, dass nur ein Bruchteil aller Delikte überhaupt ans Tageslicht kommt, kann ein kriminelles Leben ziemlich lange dauern.
Doch die Duldsamkeit von Polizei und Politik, ihre ansonsten so ausgeprägte Fähigkeit, Probleme auch langfristig zu ignorieren, findet schließlich im sogenannten Rockerkrieg ein Ende. Als Erstem platzt dem damaligen brandenburgischen Innenminister Jörg Schönbohm ( CDU ) der Kragen. Der ehemalige Inspekteur des Heeres verbietet im August 2009 den Bandidos-Unterstützertrupp Chicanos Barnim. Das ist zwar kein Meilenstein der Kriminalitätsbekämpfung, aber immerhin ein Signal: Wir werden nicht länger zusehen.
Das Problem ist nur, dass das den Rockern ziemlich egal ist.
Noch.
Vorbote der Verbote
In seiner nicht einmal dreijährigen Amtszeit als Innenminister Schleswig-Holsteins hat der CDU -Politiker Klaus Schlie zwei Dinge getan, die in Erinnerung bleiben werden. Zum einen schrieb der gelernte Realschullehrer, der später Landtagspräsident werden sollte, einer Amtsrichterin aus Elmshorn einen bösen Brief, weil die einen Polizeihauptmeister wegen des ungerechtfertigten Einsatzes von Pfefferspray zu einer Geldstrafe verurteilt hatte. Damit aber beschwor Schlie nicht nur den Unmut des Justizministers, sondern auch den geballten Zorn der juristischen Berufsverbände herauf.
Zum anderen aber wagte der kleine, kompakte Mann mit den flinken Augen einen Schritt, der zu diesem Zeitpunkt in der deutschen Kriminalpolitik beispiellos war. Er schloss am 29. April 2010 gleich zwei Ableger der großen Rockergruppen – ein Chapter der Bandidos (»Neumünster«) und ein Charter der Hells Angels (»Flensburg«). Das hatte es in der Bundesrepublik noch nie gegeben, weshalb man durchaus sagen kann, dass Klaus Schlie als Vorbote der Verbote seinen zumeist zögerlichen Ressortkollegen im Rest der Republik um Jahre voraus war. Und in Schleswig-Holstein ist das nicht unbedingt eine
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