Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Selbstverständlichkeit.
Überhaupt spielten nadelstichartige Polizeiaktionen gegen Rocker, wie sie zwei Jahre später schon sehr häufig werden sollten, in der politischen Debatte jener Tage noch kaum eine Rolle. Der damalige nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf ( FDP ) argumentierte etwa, die Auflösungen einzelner Clubs lösten die Probleme »nicht langfristig, weil sie nur zu einer Verdrängung führen«. Und für ein generelles Verbotsverfahren sei aus seiner Sicht alleine der Bund zuständig.
Auch Berlin plädierte seinerzeit für ein deutschlandweites Vorgehen gegen die Rockerszene. Während in Niedersachsen und Bremen dieselben Innenpolitiker, die wenig später schon ihren Kurs deutlich ändern sollten, sogar noch überhaupt keinen Handlungsbedarf sahen. Aber wen interessiert schon das Geschwätz von gestern?
Schleswig-Holsteins Sheriff Schlie jedoch, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die Rockerbanden besonders brutal attackiert hatten, wollte die OMCG -Kriminalität bei der Innenministerkonferenz im Frühjahr 2010 erneut zu einem großen Thema machen. Und das hatte Folgen.
Abgerockter Norden
An dem ersten Tag, an dem es sie in Neumünster nicht mehr geben darf, sitzen die Bandidos auf der gefliesten Terrasse ihres Vereinsheims und halten Kriegsrat. Draußen stehen große Autos und schwere Motorräder, allesamt schwarz und auf Hochglanz poliert. Drinnen bestimmen breite Rücken und ernste Gesichter das Bild. »Das werden wir uns auf keinen Fall gefallen lassen«, sagt einer von ihnen. »Dagegen gehen wir vor.« Und jetzt, bitte schön, keine Fragen mehr. Alles Weitere werde man sehen.
Die Verunsicherung der Rocker (»ganz schlimme Scheiße«) ist spürbar – wahrscheinlich hatten sie wirklich nicht damit gerechnet, dass Polizei und Politik tatsächlich einmal ernst machen würden. Zwar diskutieren Sicherheitsexperten seit Wochen erregt darüber, ob ein Vereinsverbot eine wirksame Waffe im Kampf gegen die Outlaw Motorcycle Gangs sein könnte, doch passiert ist lange Zeit nichts. Das aber ändert sich an diesem Donnerstagmorgen im April 2010 schlagartig.
300 Beamte, darunter das Spezialeinsatzkommando ( SEK ), durchsuchen von 7 Uhr an zehn Wohnungen und Vereinsheime der Rocker in Schleswig-Holstein. Dabei wird den 17 Mitgliedern der Bandidos MC »Probationary Chapter Neumünster« und den zwölf Mitgliedern der Hells Angels MC »Charter Flensburg« auch schriftlich mitgeteilt, dass ihre Clubs mit sofortiger Wirkung verboten sind.
»Beide Vereine verstoßen gegen die Strafgesetze und richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung«, begründet Innenminister Schlie die Aktion und setzt gleich nach: Auch über den übrigen Ablegern der Angels – die Bandidos gibt es damit im Norden offiziell nicht mehr – schwebe »das Damoklesschwert eines Verbots«. »Wir weichen keinen Schritt zurück. Das Gewaltmonopol liegt beim Staat«, so der CDU -Politiker, der eine »Null-Toleranz-Strategie« ankündigt.
Nach Ansicht des Innenministers dienen beide Vereine allein dem Zweck, kriminelle Kraft zu entfalten und ihre jeweiligen Gebiets- und Machtansprüche gegen die Konkurrenz durchzusetzen – auch mit Waffengewalt. Gegen zahlreiche Mitglieder der Hells Angels und Bandidos, darunter ist auch der ehemalige NPD -Landesvorsitzende Peter Borchert, laufen zu diesem Zeitpunkt Ermittlungsverfahren, etwa wegen versuchter Tötungsdelikte, gefährlicher Körperverletzung, Verstößen gegen das Waffengesetz und Nötigung.
»Die Straftaten stellen sich sichtbar als Aktivitäten der Vereine dar«, so Schlie. Sie seien zwar von einzelnen Mitgliedern verübt worden, gingen aber auf das Konto der beiden Gruppierungen. Das sei entscheidend für deren Verbot gewesen. »Es handelt sich nicht um harmlose Motorradclubs, deren Mitglieder sich zu friedlichen Wochenendausflügen treffen«, sagt Schlie.
In der 38-seitigen Verbotsverfügung gegen die Flensburger Hells Angels wird die Argumentation des Ministeriums noch deutlicher. Demnach konstatieren die Beamten, dass die Truppe um Anführer Stefan R. nur bestehe, um »eine Gebiets- und Machtentfaltung auf dem kriminellen Sektor gegenüber der verfeindeten Organisation der Bandidos« zu verwirklichen.
Untermauert wird diese These neben zahlreichen anderen Ermittlungsverfahren gegen einzelne Gangmitglieder und der allgemeinen Aufrüstung der Bande vor allem durch eine Attacke: So hatte am 12. September 2009 der 36-jährige Stefan R., Boss der Flensburger Angels, mit
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