Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Haft zeigen«, urteilt ein erfahrener Gefängnisseelsorger, dem sich die großen, starken Männer hin und wieder anvertrauen. »Dabei ist in jedem Gespräch von ›Freiheit‹ die Rede.«
Rocker hinter Gittern
In den harten Zeiten, die für die deutschen Rocker jetzt angebrochen sind, erweist sich der trostreiche theoretische Überbau ihres Daseins immer häufiger als Illusion. Ideale wie »Freiheit« und »Brüderlichkeit« geraten durch die Verlockung des schnellen Gelderwerbs unter Druck. Je größer, jünger und traditionsärmer ein Club ist, desto konfliktreicher wird der Gruppendynamik, desto ungleicher entwickeln sich die finanziellen Verhältnisse der einzelnen Mitglieder.
Bisher war es so, dass ein verurteilter Rocker in und vor allem nach seiner Haft keine schlimmen Geldsorgen hatte. Der Verein half ihm aus der Patsche. Im Gegensatz zu anderen Straftätern, die nach ihrer Entlassung unter der Last der Gerichtskosten und Entschädigungszahlungen zusammenbrechen, konnte sich ein Rocker des finanziellen Beistands der Seinen sicher sein. Und bekanntlich stehen dort, wo Geld vorangeht, alle Türen offen.
Die Suizidgefährdung inhaftierter Gangmitglieder war deshalb nach den Beobachtungen der Justizbediensteten in der Vergangenheit gering. Ob das so bleiben wird? In einigen der inzwischen verbotenen Vereine soll sich das gemeinsame Vermögen schon auf wundersame Weise verflüchtigt haben.
Stabile Familien im bürgerlichen Sinne haben die meisten Rocker nicht. Den jüngeren scheint auch wenig daran zu liegen. Gefängnispsychologen, Sozialarbeitern und Geistlichen ist aufgefallen, dass der Triebdruck vieler harter Kerle trotz ihrer guten Kontakte ins Rotlichtmilieu weder auffallend stark noch ungesteuert ist. Dafür gibt es eine überzeugende, aber unbewiesene Begründung: Die allermeisten Rocker sind Kraftsportler, Liebe und Fürsorge gelten in erster Linie den eigenen Muskeln. Die werden trainiert und geölt, sie sind das Objekt der Zuversicht. Idealerweise wird die Plackerei belohnt durch das Relief eines Schwerathleten: ein dicker, muskulöser Hals, Arme, die vom mächtigen Bizeps immer in leichter Beugestellung gehalten werden, die großen Brustmuskeln in Körbchengröße B, Waden wie der griechische Titan Atlas, der das Himmelsgewölbe trug.
Dieses einschüchternde Schönheitsideal ist nicht zu erreichen ohne pharmazeutische Hilfsmittel, die mittlerweile überall leicht zu beschaffen sind, selbst im Knast. Nur leider: Die Anabolika, ursprünglich als Medikamente für abgemagerte Krebskranke entwickelt, blasen zwar die Muskeln des Supermannes auf, doch haben sie niederträchtige Nebenwirkungen: Sie setzen den Hoden zu, der Leber, den Herzkranzgefäßen. Die Kraft der Lenden geht dahin, und niemals kehrt sie wieder. Langjähriger Steroidmissbrauch, noch dazu mit obskuren Präparaten aus fernöstlichen Labors, hält der stärkste Mann nicht aus.
Die Zukunft der Rocker und ihrer Ideale erscheint also zunehmend düster: Ihr bisheriges, in allen Lebenslagen erprobtes Handlungsmuster
»Draufhaun und besoffen sein
Des echten Rockers Sonnenschein«
wird nicht zu halten sein. Die ersehnte Freiheit im Rockersinn ist so fern wie die beschworene Brüderlichkeit. Und womöglich ist es ja doch so: Der Mensch hat über nichts so wenig Macht wie über die Folgen seiner Taten.
KAPITEL 2 SONNY BARGER IST GOTT
Die Geschichte der Hells Angels
The Wild One: Rockergangs terrorisieren eine Kleinstadt
D onnerstag, 3. Juli 1947, am Vorabend des Unabhängigkeitstages. Die American Motorcyclist Association ( AMA ) veranstaltet ihre dreitägige »Gypsy Tour« in einem kalifornischen Kaff namens Hollister, knapp 100 Meilen südlich von San Francisco.
Zweistöckige Häuser stehen an der Hauptstraße dicht an dicht. Nicht nur die örtliche Apotheke ist frisch getüncht und erstrahlt in Weiß, das ganze Städtchen hat sich fein gemacht. Aus den Jukeboxen der Kneipen perlt eine Mischung aus Bebop und Big-Band-Sound. Männer tragen breitkrempige Hüte, die Frauen weite Röcke.
Es ist das erste Mal nach dem Krieg, dass die Motorradvereinigung eingeladen hat. Es soll ein paar Amateurrennen geben, wer kann, wird auf seinem Krad Kunststücke vorführen. Zwischen 4000 und 5000 Besucher reisen aus ganz Amerika an, viele von ihnen drehen auf einer Harley-Davidson ihre Runden.
Während des Krieges hatte die amerikanische Motorradschmiede aus Milwaukee, Wisconsin, mehr als 88000 Bikes für den Einsatz an der Front produziert. Zu
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