Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
sogar mit dem Bus. Motorräder sucht man an diesem 17. Dezember 2007 vor dem backsteinroten Münsteraner Landgericht vergeblich. Vielleicht ist es den Höllenengeln zu kalt.
Dennoch ist die Kulisse in der ansonsten weihnachtlich idyllischen Stadt eindrucksvoll: 600 Rocker, zu etwa gleichen Teilen Hells Angels und Bandidos, dazu mehr als 1000 Polizisten: Absperrgitter, Leibesvisitationen, Sicherheitsschleusen, Panzerwagen, ernste Gesichter – es geht grimmig zu vor dem Landgericht.
»Wir sind nicht auf Krawall aus«, beschwichtigt Hells-Angels-Sprecher Rudolf »Django« Triller. »Dass die Bandidos und wir uns nicht mögen, ist wirklich kein Geheimnis.« Das wird später noch einmal auf handfeste Art deutlich werden.
Die gegenseitige Antipathie lässt sich auch in Saal 23 des Gerichts beobachten. Dort hocken hinten links im Zuschauerraum zwei Dutzend Bandidos, in der Mitte etwa ebenso viele Polizisten, und rechts haben die Angels Platz gefunden. Es sind die hochrangigsten Vertreter der verfeindeten Gangs, hier nur wenige Meter voneinander entfernt: Frank Hanebuth, André Sommer, Michael Wellering auf der einen, der Hells-Angels-Seite, Peter Maczollek, Jürgen B. und Leslav Hause auf der anderen, der Bandidos-Seite.
Die Gruppen würdigen sich keines Blickes – und werden selbst unverhohlen bestaunt. Die wenigen zivilen Besucher, die Journalisten und Justizwachtmeister beäugen neugierig die verlebten Gesichter, die langen Haare, die zerschlagenen Nasen und die reich verzierten Kutten.
Auf der Anklagebank der 2. Großen Strafkammer sitzen Heino B., 48, und Thomas K., 36, wegen des Vorwurfs des gemeinschaftlichen Mordes. Der Verteidiger von Thomas K. kritisiert gleich zu Beginn der Verhandlung, dass seinem Mandanten, einem 1,86 Meter großen, breitschultrigen Kerl mit harten Zügen und kurzen Haaren, auf der Fahrt ins Gericht die Augen verbunden und die Ohren verschlossen worden seien. »Unmenschlich« nennt er dieses Vorgehen. Aus der Hells-Angels-Ecke im Publikum höhnt es lautstark und pseudo-mitleidig: »Ooooooh!«
Der Vorsitzende Richter Michael Skawran tritt den Vorwürfen des Verteidigers entgegen. »Das sind keine unmenschlichen Bedingungen.« Er habe diesem Vorgehen der Polizei zugestimmt, werde seine Entscheidung überdenken. Und im Übrigen: »Wenn unsere Referendare Klausuren schreiben, tragen sie sechs Stunden lang Ohrstöpsel.«
Keine zehn Minuten nach diesem Wortgefecht ist der erste Verhandlungstag bereits beendet. Die Rocker setzen ihre grimmigen Gesichter auf und ziehen geordnet ab. Die Polizisten atmen durch. »Endlich«, seufzt ein Beamter. Er freut sich zu früh.
Denn wenig später heulen schon wieder Sirenen durch die Innenstadt. Kurz vor der Autobahn sind die bis dahin strikt getrennten Rockergruppen zufällig doch noch aufeinandergeprallt. Etwa 40 Männer prügeln sich, 100 Polizisten werfen sich dazwischen. Zum ersten Mal machen hier zwei besonders aggressive Bandidos auf sich aufmerksam. Der eine heißt Kadir Padir und wird mit dem Übertritt seines Berliner Clubs zu den Hells Angels später Outlaw-Geschichte schreiben. Der andere wird keine zwei Jahre mehr leben und der nächste Tote im nordrhein-westfälischen Rockerkrieg sein: »Eschli« Elten.
Ein Highlight des aufwändigen Prozesses gegen Heino B. und Thomas K. ist der Auftritt ihres ehemaligen Bandido-»Bruders« Rolf D. Der 53-Jährige ist aus dem Club ausgestiegen und befindet sich nun in einem Zeugenschutzprogramm, seine Aussage wird mit Spannung erwartet.
D. bewegt sich langsam und behäbig. Schweren Schrittes tappt der korpulente Mann in den Schwurgerichtssaal des Landgerichts Münster. Er trägt ein blaues Sweatshirt, eine ausgebeulte Jeans, schwere Stiefel. Der Bart ist grau und verfilzt, der Haarkranz zottelig, der Blick trübe. D. sieht aus wie eine Mischung aus Weihnachtsmann und Tippelbruder – mit einer starken Tendenz zum Letzteren. Er schläft nicht mehr viel in jüngster Zeit. »Ich gehe morgens um fünf ins Bett und stehe um sieben wieder auf«, sagt der Kraftfahrer dem Vorsitzenden Skawran und fügt im breiten westfälischen Tonfall hinzu: »Ich habe meine Probleme. Da können Sie einen drauf lassen.«
Rolf D. nämlich ist »ein Verräter«, so sagt er selbst. Er hat mit dem ehernen Gesetz aller kriminellen Organisationen gebrochen, niemals mit den Behörden zu sprechen. Doch der Schatzmeister und Schriftführer des Chapters »Münster« war in großer Not. Er hatte in die Vereinskasse gegriffen und 8500 Euro
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