Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
per Handzeichen, wenn sie etwas loswerden wollen, und der Vorsitzende Richter Jürgen Seifert nimmt sie – einen nach dem anderen – dran: »Ja, bitte, Sie möchten etwas sagen!«
Die Höllenengel indes thronen auf der Anklagebank: hünenhafte Kerle in Kapuzenpullis und Armeejacken, keiner von ihnen wiegt wohl weniger als 100 Kilo. Zur Begrüßung haben sie einander kräftig die Pranken auf die Schultern gehauen und sich Dinge zugeröhrt, die sie hart erscheinen lassen sollen oder cool oder am besten beides: »Alter! Wie isses?« – »Ja, muss, muss!«
Schräg gegenüber den Angeklagten, im Zuschauerraum hinter den Journalisten, hocken die Frauen der Rocker wie Hühner auf der Stange: Fast alle sind sie blonder, als die Natur es ihnen erlaubt, sie tragen viel Make-up, goldene Ringe und Westen aus Kunstfell. Einige arbeiten als Prostituierte: »Ooh, guck mal, deiner sieht aber süß aus«, tuscheln sie. Oder: »Nervös isser, das seh ich doch – und blass.«
Die Verteidiger stören sich indes, kaum ist das Verfahren eröffnet, an der Sitzordnung, die sie hindert, neben ihren Mandanten Platz zu nehmen. Das Dutzend Höllenengel hockt nämlich hinter einem hölzernen Geländer, während die Juristen mitten im Saal logieren. Entsprechende Anträge sollen sogleich eine Umgruppierung der Tische möglich machen. Einer der Anwälte quengelt auch noch: »Ich will genauso viel Platz wie mein Kollege.«
Doch die Kammer bleibt zunächst hart. Aus »sitzungspolizeilichen Gründen« wird im Saal 127 nicht umgeräumt. Dabei hat ein Verteidiger gewarnt, wenn das Gericht sich dem Willen der Anwälte widersetze, könne man sich doch leicht »die Konsequenzen vorstellen«. Ein anderer prophezeit den Richtern »selbstgemachtes Leid«. Im Klartext heißt das: Wir werden so lange Anträge stellen und um Unterbrechungen bitten, bis ihr, unter dem Druck der enormen Kosten und der öffentlichen Meinung, endgültig die Nerven verliert.
Offenbar eine wirkungsvolle Drohung. Bereits am Mittag schlägt die Kammer Verteidigern und Staatsanwälten in einem »Rechtsgespräch« vor, das Verfahren abzukürzen: Niedrigste Strafen für fast alle Angeklagten gegen Geständnisse. Aus prozessökonomischen Gründen wird dieser Deal wenig später perfekt gemacht, aber für den Rechtsstaat ist er ein Offenbarungseid, zeigt er doch, dass die Ermittler ziemlich machtlos sind, wenn alle beharrlich schweigen.
Elf angeklagte Rocker erhalten tatsächlich Bewährungsstrafen von maximal zwei Jahren. Lediglich drei Männer trifft es schwerer: Der 37 Jahre alte Rädelsführer der Aktion muss für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis, zwei weitere Männer werden aufgrund diverser Vorstrafen zu zwei Jahren und sechs beziehungsweise acht Monaten verurteilt.
Alle angeklagten Bremer Rocker räumen dafür mit knappen Worten ihre Beteiligung an dem Überfall auf das Vereinsheim der verfeindeten Bandidos ein. Im Gegenzug lässt die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des schweren Raubes fallen, bei dem Verurteilungen zu Bewährungsstrafen nicht mehr möglich gewesen wären. Es bleibt bei der gefährlichen Körperverletzung.
Richter Seifert begründet seine Entscheidung damit, dass die Hells Angels Vereinsembleme und andere Insignien des verfeindeten Clubs nicht gestohlen hätten, um sich daran zu bereichern. »Keiner der Angeklagten hatte ein Interesse, sich einen Bandidos-Aufnäher auf die Kutte zu machen«, so Seifert unter zustimmendem Gejohle der Rocker.
Der Vorsitzende verteidigt sich: »Das ist aus unserer Sicht gerecht. Es hat nichts damit zu tun, dass wir Hells Angels laufen lassen.« Die meisten Angeklagten seien nicht einschlägig vorbestraft, so Seifert. Allerdings wurden acht der 14 Rocker schon wegen diverser Delikte verurteilt, meist mehrfach, darunter Betrug, Nötigung und Körperverletzung.
Am Ende wendet sich Oberstaatsanwalt Schulz an die Hells Angels. In drohendem Ton sagt er: »So eine Nummer ziehen Sie bitte nicht noch mal durch. Mit mir müssen Sie immer rechnen.« Doch die Rocker grinsen bloß verächtlich, im Hinausgehen höhnt einer: »Jetzt haben wir aber Angst.«
Die Opfer des Überfalls hingegen kommen weniger glimpflich davon, scheren sich ihre Kumpane doch nicht um strafprozessuale Feinheiten. Einen Monat nach der Attacke fahren die Bandidos zu einer Clubfeier nach Münster. Dort, so geht es aus Gerichtsunterlagen hervor, eröffnen ihnen ihre »Brüder«, dass sie gefälligst umgehend Rache zu üben und einen Gegenschlag zu
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