Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
»Original 81«, unter der sie Zigaretten, Bier und Schnaps vertreiben. Die Rocker füllen ihren eigenen Mythos in Flaschen, damit Otto Normalverbraucher zu Hause an Freiheit und Abenteuer nippen kann. Sogar die Warenhauskette »Real« erweitert mit dem Hells-Angels-Bier die Produktpalette. Erst als der Bund Deutscher Kriminalbeamter kritisiert, dass Kriminelle auf diese Weise salonfähig gemacht würden, verschwinden die Flaschen wieder aus den Regalen.
Der öffentlich sichtbarste Vorstoß in die Mitte der Gesellschaft gelingt dem Rockerboss mit der Schlagerparade. Von Sommer 2007 an rollen bunte Musiktrucks mit schrill gekleideten Feierwütigen durch Hannover. Organisiert von den Steintor-Wirten, also Hanebuth.
Schlagergrößen wie Mickie Krause, Jürgen Drews oder Michael Wendler röhren ihre Promillehymnen. Gesponsert wird die erste Parade unter anderem von Beck’s, Bacardi und Red Bull. Einmal führt der Truck der »Bild«-Zeitung die Kolonne an, dahinter folgt Hanebuths »Sansibar«.
Der Boss und seine Rocker haben jetzt direkten Draht zu einflussreichen Unternehmen, anscheinend herrschen bei den Geschäftspartnern keinerlei Berührungsängste mehr. Dabei ist wenige Wochen zuvor im westfälischen Ibbenbüren der Hells Angel Robert K. in seinem Geschäft regelrecht exekutiert worden.
Das Rockernest
Das Nest an der Autobahn A7, bundesweit allenfalls bekannt durch einen Vogelpark, ist das Zuhause des Hells Angels Wolfgang Heer. Der Kalte Krieg hat den 1945 geborenen Rocker wohlhabend gemacht. Als die Bundeswehr noch große Verbände in der Lüneburger Heide stationierte, weil sie einen russischen Angriff in der norddeutschen Tiefebene erwartete, versorgte Heer das bundesrepublikanische Heer mit käuflicher Liebe. In den Bordellen und Wohnmobilen an den Landstraßen – vom Volksmund »Schüttelbusse« genannt – suchten die Rekruten und Offiziere das friedliche Gefecht mit dem anderen Geschlecht. Und bei Hells Angel Heer klingelte die Kasse.
Heute betreibt der Rocker ein Bordell am Rande von Walsrode, außerdem ein Bowlingcenter und ein Fitnessstudio. Er ist ein begüterter Geschäftsmann mit guten Verbindungen zu lokalen Politikern und Unternehmern. Was Frank Hanebuth in Hannover geschafft hat, gelang Wolfgang Heer in der Kleinstadt Walsrode. Die Männer verbindet zudem seit Jahrzehnten eine enge Freundschaft, zusammen haben sie die Firma »Bodyguard Security« gegründet, die unter Heers Privatadresse angemeldet wurde. Geschäftsführer des Betriebs ist Heers Sohn Michel.
Unter Hanebuth steigt Wolfgang Heer zum Kassenwart der hannoverschen Höllenengel auf. Seinem Ansehen in der Kleinstadt schadet das nicht. In Walsrode genießt er das Image eines Wohltäters. Er spendet großzügig für Vereine und Institutionen. Als die Bowlingbahn mit Geschäftsführer Michel Heer eröffnet wurde, schaute sogar die parteilose Bürgermeisterin Silke Lorenz vorbei.
Jedes Jahr im Sommer veranstaltet der öffentlich bezuschusste Förderverein Stadtmarketing e.V. eine Konzertreihe in der Walsroder Innenstadt. Um für Ruhe und Sicherheit zu sorgen, beauftragen die Organisatoren »Bodyguard Security« von Heer und Hanebuth. So wandern indirekt Steuereinnahmen in die Geschäftsbücher der Rocker. Alles kein Problem in Walsrode, bis Detlef Gieseke die Situation anprangert.
Der Grüne organisiert eine Podiumsdiskussion in der Stadthalle unter dem Motto »Wie gefährlich sind die Hells Angels?«. Vorher haben Unbekannte Giesekes Auto demoliert. Ein Einschüchterungsversuch, damit die Veranstaltung platzt? Die Tat wird nie aufgeklärt.
Es wird ein bemerkenswerter Abend, für den Wolfgang Heer seinen Ägypten-Urlaub unterbrochen hat. Frank Hanebuth sitzt in der ersten Reihe und setzt ein Nussknacker-Gesicht auf. Er hat an der Debatte offensichtlich so viel Spaß wie an einer Wurzelbehandlung. Der Wind hatte sich spürbar gedreht. Mittlerweile müssen sich die Höllenengel öffentlich für ihre Geschäfte rechtfertigen – eine erkennbare Zumutung für die breitschultrigen Herren in der ersten Reihe.
Der ebenfalls anwesende Pressesprecher der Hells Angels, Rudolf »Django« Triller, vergleicht den stetig wachsenden Druck der Behörden mit dem Boykott jüdischer Geschäfte vor dem Zweiten Weltkrieg. Wie sehr muss man sich in die Ecke gedrängt fühlen, um sich zu so einem Vergleich hinreißen zu lassen?
Die Veranstaltung entfaltet eine ziemliche Wirkung. Für die Medien ist Walsrode fortan die »Stadt der Höllenengel«. Vor
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