Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
er mit.
Dennoch löst R. mit seiner Darstellung eine regelrechte Presselawine aus. Wenig später schießen die ersten Überschriften ins Internet. »Ex-Rocker: Boss Hanebuth erteilte Mordauftrag« oder »Hells-Angels-Boss belastet – Erteilte Hanebuth Mordauftrag?« Am nächsten Tag prangt der Glatzkopf auf vielen Titelseiten. Die Masse der Berichte lässt schnell vergessen, dass von den Anschuldigungen nichts bewiesen ist.
Doch für die Öffentlichkeit ist Hannovers führender Hells Angel jetzt ein Verbrecher. Hanebuth schickt seinen zehnjährigen Sohn zu einem Freund nach Mallorca, das Kind soll diese Schlagzeilen nicht lesen. Als der Junge zurückkehrt, dürfen seine Freunde nicht mehr mit ihm spielen. Das schmerzt auch den Vater.
Nach einigen Wochen muss die Polizei jedoch ihre Leichensuche in einer Lagerhalle nördlich von Kiel ohne Erfolg einstellen. Ein Folteropfer im Beton konnten sie dort nicht finden. Offensichtlich passt die vermeintliche Beichte des Kronzeugen nicht zur Wirklichkeit. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt hat den Zeugen Steffen R. schon 2003 für unglaubwürdig befunden und alle Landeskriminalämter der Republik vor einer Zusammenarbeit mit ihm gewarnt.
Dennoch spüren die Höllenengel die Wucht der Lawine. Selbst die treue Bürgermeisterin von Walsrode will jetzt nichts mehr mit den Rockern zu tun haben. Sie untersagt einer Hells-Angels-Firma, sich erneut an der sommerlichen Konzertreihe in der Innenstadt zu beteiligen. Die Stimmung ist selbst in der Kleinstadt gekippt.
Am 28. Juni 2012 produzieren die hannoverschen Höllenengel die vorerst letzten Schlagzeilen. Sie verkünden ihr eigenes Ende, nachdem sie sich einen Tag zuvor aufgelöst haben.
Aus dem Umfeld sickern Erklärungen durch, die selbstständigen Geschäftsmänner im Club fürchteten mittlerweile um ihre Existenz. Der Druck sei zu groß, viele Geschäftspartner wendeten sich eingeschüchtert ab. Hanebuth sagt nur lapidar: »Es war ein gemeinsamer Beschluss. Ende im Gelände.«
Gerüchten zufolge spült er seinen Ärger an diesem Abend mit reichlich Alkohol herunter. 20 Jahre lang war er der Rockerkönig von Hannover und musste dennoch die bürgerliche Mitte nicht verlassen. Harley und Hummer – Hanebuth konnte beides. Diese Zeiten sind vorbei.
KAPITEL 5 »ICK WERD VERRÜCKT, DER BULLE HAT JESCHOSSEN!«
Angriff auf den Rechtsstaat
Die Hauptstadt-Nomaden
S ie haben etwas von riesigen Maikäfern, wie sie da stehen, aufgepumpt und angespannt. Der untersetzte Bandido trägt seinen Helm noch auf dem Kopf, in der rechten Hand hält er einen Krummdolch. Die Lederweste mit den Abzeichen der Rockergang spannt über dem Bauch, darunter ein schwarzes Shirt, auf dem » BFFB « steht, »Bandidos forever, forever Bandidos«. Braune Stiefel und Militärhosen lassen ihn bedrohlich erscheinen. Sein Motorrad liegt umgekippt auf der Seite.
Ihm gegenüber wippt Rayk Freitag, der Karatekämpfer von den Hells Angels, auf den Fußspitzen, jeden Moment kann er nach vorne schnellen und zuschlagen. Er ist wohl mit einem Wagenheber bewaffnet. Begleitet wird Freitag von einer Handvoll Höllenengel, die sich noch im Hintergrund halten, aber – falls nötig – ihrem »Bruder« beistehen werden.
Was sich da am 21. Mai 2007 gegen 16 Uhr auf einer Straßenkreuzung im Berliner Stadtteil Weißensee abspielt, ist typisch für das Verhalten von Rockern. Vor allem ist es bezeichnend für das Auftreten der Gangs in der deutschen Hauptstadt und dem benachbarten Brandenburg.
Hells Angels gegen Bandidos, nirgendwo in Deutschland wird der Rockerkrieg so brutal und erbarmungslos geführt wie in Berlin. Denn hier stehen sich derart viele gewaltbereite Männer auf engem Raum gegenüber, dass die Situation fast schon zwangsläufig eskalieren muss. Die Hauptstadt ist gleichsam der Teilchenbeschleuniger im Konflikt der Banden, der stetig an Brisanz gewinnt – was sich in der Statistik niederschlägt. In einer Liste für das Abgeordnetenhaus stellt das Berliner Landeskriminalamt fest, dass von 2004 bis 2011 im Rockermilieu der Hauptstadt 1532 Ermittlungsverfahren geführt wurden. Summe aller Freiheitsstrafen gegen Mitglieder der Motorradclubs, nur in Berlin: 387 Jahre.
Dabei finden viele Straftaten im Verborgenen statt, in der Halb- und Schattenwelt krimineller Gangs, in der man eine vermeintliche Form von Gerechtigkeit am liebsten selbst herzustellen versucht. Deswegen ist der Normalbürger vergleichsweise selten Zeuge der Auseinandersetzungen zwischen den
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