Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Gruppen. Doch das ist an diesem Tag im Mai 2007 anders.
Die Gegend um die im Berliner Osten gelegene Indira-Gandhi-Straße gilt als Hells-Angels-Gebiet. Ein Bandido, noch dazu in voller Rockermontur, muss immer damit rechnen, angegriffen zu werden, wenn er sich hierher wagt. Nun erwischt es den 37-jährigen Carsten D., der bei den Berliner Verkehrsbetrieben arbeitet und auf dem Weg nach Hause ist. Ermittler werden später annehmen, dass der Höllenengel-Trupp den in Kutte fahrenden Konkurrenten gezielt abgefangen hat.
Als Rayk Freitag und Carsten D. sich drohend voreinander aufbauen und kampfbereit belauern, alarmieren Passanten die Polizei, mehrere Streifenwagen rasen herbei. Der Verkehr kommt zum Erliegen, von der Straßenseite gegenüber filmt ein junger Mann mit einer Kamera das Geschehen und brüllt vor Begeisterung »Is dit geil!« in sein Mobiltelefon. Eine Einschätzung, die der betroffene Bandido wohl nicht unbedingt teilt.
Denn Carsten D. weicht zurück. Er ahnt, dass Rayk Freitag ihm überlegen ist, Krummdolch hin oder her. Trotzdem will der Bandido nicht einfach aufgeben. Polizisten versuchen, den aggressiven Freitag aufzuhalten, ein Beamter feuert mit seiner Dienstwaffe in den Berliner Nachmittagshimmel. Wieder jubelt der Videofilmer: »Ick werd verrückt, der Bulle hat jeschossen!«
Dem Kampfsportler ist das egal, wahrscheinlich weil er weiß, dass ein deutscher Polizist nicht auf einen unbewaffneten Mann schießen darf. Also versucht Freitag, den Bandido mit dem Fuß zu treffen. Mai-geri heißt der Tritt im Karate, doch als wirkungsvoll erweist er sich hier nicht. Letztlich beendet die Polizei mit mehreren Ladungen Pfefferspray den ungleichen Kampf.
Ob es bei dieser Begegnung wie im Tierreich nur darum geht, sein Revier gegen einen Eindringling zu verteidigen, ist für den Fortgang der Ereignisse nicht relevant. Entscheidend ist, wer an diesem Tag auf Seiten der Hells Angels unterwegs ist, steht doch das Berliner Charter der »Nomads« wie kein zweites sowohl für eine verhängnisvolle Entwicklung innerhalb der Gang als auch für brutale Auseinandersetzungen mit Staat und (Rocker-)Feind.
Da ist zum einen der polizeibekannte Angreifer Rayk Freitag. Der ehemalige Nationalmannschafts-Karatekämpfer und gelernte Kfz-Mechaniker aus dem brandenburgischen Eberswalde prügelt sich gerne und häufig. Im Laufe der kommenden Jahre wird er mehrfach vor Gericht stehen und unter anderem wegen Beihilfe zu einer Schutzgelderpressung verurteilt werden. In dem Verfahren wird auch ein getötetes schwarzes Schaf eine entscheidende Rolle spielen.
Vorläufig festgenommen wird auch Holger »Hocko« Bossen, damals noch Präsident der »Nomads«. Der damals 46-Jährige trägt meist ein Hemd mit der Aufschrift »Hells Angels Filthy Few«. Wer die Regeln der Rocker kennt, weiß, dass er es nicht für Kinkerlitzchen bekommen hat. Denn Aufnäher mit diesem Schriftzug verleihen die Höllenengel nach Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden nur für schwerste Gewalttaten. In der Szene heißt es, Bossen habe sich das Kleidungsstück »redlich verdient«. Nach seinem späteren Rausschmiss wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten wird Bossen im Mai 2011 vor seinem Haus niedergestochen und lebensgefährlich verletzt.
Am lockersten geht Michael B. an diesem Tag mit dem Vorfall um. Auch er ist ein groß gewachsener durchtrainierter Schläger, der jedoch laut und herzlich lacht, als die Ermittler auf der Wache ihre Polaroids für die Akte schießen. Auch B. trägt die Farben der Hells Angels und das »1%er«-Abzeichen der Rocker. Zwei Jahre später wird er der erste Tote im Berliner Bandenkrieg sein.
Nach Michael B. wird Oliver »Olli« G. erkennungsdienstlich behandelt und fotografiert. Er sieht wie die personifizierte Unschuld aus, ganz Babyface, den Kopf leicht nach links gesenkt, als wolle er sagen: Ich war’s nicht. Dabei prangt auf seiner Weste das »Dequiallo«- Abzeichen, das nur verliehen wird, wenn man einen Beamten angegriffen und verletzt hat. G. wird später untertauchen, weil er verdächtigt wird, an der Tötung seines Gang-»Bruders« Michael B. beteiligt gewesen zu sein.
Festgenommen werden an diesem Tag auch Ives V. und der Bauwerksabdichter David L. Vom harten Kern der »Nomads« fehlt somit nur André Sommer, damals »Sergeant at Arms«. Sommer wird in den nächsten Jahren mal mit einem Messer im Rücken, mal mit Kugeln im Leib in den Krankenhäusern der Stadt auftauchen und sich angeblich an nichts erinnern
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