Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
dann drehten wir uns, der Gang ging nicht mehr rein, so dass wir nicht wegkamen, und plötzlich kam ein Auto auf uns zu, und dann ging es los«, berichtet einer der Angels später den Ermittlern.
Getarnt mit Sturmhauben, bewaffnet mit Macheten, Messern und Baseballschlägern greifen die Bandidos an. »Komm raus, du Sau! Ich mach dich fertig!«, ruft einer vor der verriegelten Fahrertür des Kia. Zwei andere springen auf die Motorhaube des Wagens und dreschen mit Stangen auf das Dach und die Windschutzscheibe ein. Die Angels Enrico K., 26, Danilo B., 26, Sebastian W., 27, und Paul H., 23, sitzen im Kia hilflos in der Falle.
Danilo B., der das Auto gefahren hat, erinnert sich: Auf einmal sei die Fensterscheibe der Fahrertür eingetreten worden, ein zweiter Fußtritt habe ihn am Kopf getroffen, woraufhin er ohnmächtig geworden sei. Er erleidet Stichverletzungen in beiden Beinen und dem linken Arm, eine Fraktur der rechten Kniescheibe, eine Fraktur des linken Schienbeins. Die Kniescheibe ist nicht nur gebrochen, auch die Kniegelenkskapsel ist geöffnet und die Sehne oberhalb des Knies längs gespalten. Es sind Verletzungen, wie sie zu den Hoch-Zeiten der Mafia Mode waren. Der Schuss ins Knie galt jahrelang als letzte Warnung. Immerhin ist der Kreislauf des Mannes stabil.
Auch Sebastian W. hat zu Recht Angst um sein Leben, er trägt eine tiefe Stichwunde in den Hals davon. Doch am ärgsten hat es Enrico K. erwischt. Ein drittgradiger offener Bruch des Schienbeins und diverse weitere Knochenbrüche erschüttern selbst erfahrene Unfallmediziner.
K. selbst ist schnell wieder gelassen, Blutdruck (115/60) und Puls (80) sind bei Einlieferung in das Unfallkrankenhaus Marzahn normal. Der 1,95 Meter große Mann ist gut trainiert und vegetativ stabil. Im Ersten Weltkrieg hätte der Unterschenkel noch amputiert werden müssen, weil es keine Antibiotika gab. Heutzutage rettet den Rocker der Hubschrauber. Es ist eben auch für »Outlaws« ganz schön, in einem zivilisierten Land zu leben, auch wenn man einen Privatkrieg führt und sich von der Zivilgesellschaft weit entfernt hat.
Gegen 4.25 Uhr schleppt sich auch der Hells-Angels-Anführer André Sommer in das Marzahner Krankenhaus. Die Selbsteinlieferung hätte er gerne vermieden, aber in seinem Rücken steckt eine abgebrochene Messerklinge. Gegenüber der Polizei stellen die Opfer den Angriff zunächst als Verkehrsunfall dar. Doch die Spuren, die zu den Tätern weisen, sind eindeutig.
Zwar haben die Angreifer vor der Attacke ihre Handys ausgeschaltet, doch in der Nähe des Tatorts findet ein Feuerwehrmann ein vielsagendes DIN-A4-Blatt: einen Dauerauftrag an die Justizkasse Berlin über 100 Euro – von Erhan A., den Ermittlern als Freund der Bandidos bekannt. Im Innenraum des Kia wird zudem eine Machete mit 34 Zentimeter langer Klinge sichergestellt, blutverschmiert, darauf die DNA -Spur von Christopher H., einem Mitglied der Bandidos »Centro«.
Ein V-Mann bestätigt den Ermittlern, dass die Täter in der Berliner Truppe von Kadir Padir zu suchen seien. Bei Razzien im Vereinsheim der Bandidos und in ihren Privatwohnungen stellen die Beamten Messer, Macheten, Baseballschläger, ein Samuraischwert, eine Schreckschusswaffe, Drogen und Anabolika sicher.
Die Auswertung der Handys von Bandidos und Hells Angels gestattet den Ermittlern darüber hinaus nicht nur Einblick in die hierarchischen Strukturen der Gangs, sondern auch in deren Seelenleben: Die harten Jungs schicken sich freundliche SMS, gratulieren brav zum Geburtstag, nennen sich »Pullerküsser« oder »Macho de Luxe« und lamentieren über Bluthochdruck durch Steroide. Zwar gilt die Treue gegenüber dem eigenen Club als höchstes Gebot, um die Treue gegenüber den eigenen Freundinnen, so zeigt es der erregte SMS -Verkehr, ist es aber weniger gut bestellt: »Lass meine Frau in Ruh du Spritzer. «
Sechs der verdächtigen Attentäter, die 2012 angeklagt werden, kommen aus Einwandererfamilien. Aus Mangel an Beweisen spricht das Gericht sie letztlich frei. Besonders pikant: Zum Zeitpunkt des Verfahrens ist Christopher H. bereits zu den Hells Angels übergelaufen. Und so sind – es gilt zu verzeihen – gleichsam über Nacht aus Todfeinden Clubkameraden geworden.
Einen Monat später titelt die »Berliner Morgenpost«: »Hells Angels verlieren den Kampf gegen die Bandidos.« Eine Einschätzung, die Ermittler teilen. Doch wie das so ist in Kriegen, irgendwann schlägt selbst der schwächste Gegner zurück – und kann dann
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