Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Gründerzeitbaus mit der Nummer 13 logiert das »Angels Place«, eine in Lila gehaltene Bar mit schwarzen Ledersofas und überschaubarem Angebot. Es gibt nur zwei Sorten Wodka, darunter die Hausmarke »Original 81«, Cola oder Red Bull, Rauchen ist gestattet. Verirrt sich ein Gast und verlangt etwa einen Caipirinha, wird er vom Personal bestenfalls angestarrt.
Anfang Februar 2010 machen es sich in diesem tuffigen Ambiente hochrangige Rocker bequem, Unterstützer servieren ihnen Getränke. Wochenlang haben die Berliner Bandidos um Kadir Padir über einen Wechsel zu den verfeindeten Hells Angels verhandelt. Ein in der Geschichte der beiden weltweit organisierten Clubs wohl einmaliger Vorgang, schließlich geht es hier um Hochverrat.
Hinter verschlossenen Türen vollziehen schließlich die Höllenengel Frank Hanebuth und André Sommer ausgerechnet mit Kadir Padir den Wechsel der fast vollständigen »Centro«-Truppe zu den Hells Angels. Die Neuen müssen sich nicht mühsam in der Clubhierarchie hochdienen, so einigt man sich, sondern werden sofort als vollwertige Mitglieder aufgenommen.
Bis dahin hatten die Hells Angels ihren Nachwuchs vergleichsweise sorgfältig ausgewählt, handverlesen könnte man sagen. Mit dem Übertritt der ehemaligen Bandidos aber gewinnen die Hells Angels gleich eine Vielzahl von Mitgliedern aus dem Zuwanderermilieu mit hoher krimineller Energie, dazu kommen Dutzende Unterstützer aus deren Dunstkreis mit zwielichtiger Vergangenheit.
Am 2. Februar hatte sich Padir bereits mit Bossen der Angels in einem Hotel in Hannover-Linden getroffen. Der Ex-Boxer, verkracht mit den Bandido-Chefs, braucht dringend neue Freunde. Um die Höllenengel, die ihre Vollmitgliedschaft teilweise erst nach einer jahrelangen Prozedur erhalten, nicht vollends zu verärgern, einigt man sich auf einen Deal: Die Neuen gehören offiziell erst einmal zu der türkischen Sektion. Sie nennen sich Hells Angels »Nomads Türkye« und bilden somit einen eigenständigen Verein. Später wird daraus »Berlin City«.
Dass die bisherigen Todfeinde nun friedlich miteinander Bier der hauseigenen Marke »Original 81« schlürfen und Motorradausflüge ins Grüne machen sollen, sorgt in der gesamten Rockerszene für Irritation. Der hannoversche Hells-Angels-Präsident Hanebuth war maßgeblich an den Übertrittsverhandlungen beteiligt und übt sich nun in der Rolle des Friedensengels: »Wir wollen keinen weiteren Konflikt«, sagt er damals dem SPIEGEL. Das nütze keiner der beiden Seiten.
Dass an die Überläufer Geld gezahlt wurde – von 250000 Euro ist die Rede –, dementiert Hanebuth: »Das ist Quatsch.« Auch der Stuttgarter Präsident der Hells Angels, Lutz Schelhorn, mit über 30 Jahren Höllenengel-Mitgliedschaft eine graue Eminenz der Szene, schließt seinerzeit eine Ablösesumme für die Bandidos aus: »Wir sind doch kein Fußballverein.«
Doch was sollen die Neumitglieder bei den Angels, die so viel Wert legen auf ihren Ehrenkodex? Vor allem Kadir Padir ist den Ermittlern bekannt. Der sei gut im Geschäft, drei Kneipen, Straßenstrich, »beeindruckender Taktiker«, aber unberechenbar. Und die Truppe, die Padir befehlige, sei aggressiv, schwer zu steuern. Tolle Mitglieder der mythenumwehten Hells Angels würden das, lästern die Fahnder, viele der angeblichen Rocker besäßen ja nicht mal einen Führerschein.
Schon einen Tag nach dem Seitenwechsel sind am Vereinsheim in der Reinickendorfer Residenzstraße alle Verweise auf das Vorleben als »Centro«-Bandidos getilgt. Mitglieder und Unterstützer der Gang tragen bereits die Farben der Hells Angels: Rot-Weiß. Auch im Szene-Magazin »Biker News« posieren Padir und seine Truppe.
Die alten Haudegen bei den Bandidos sind froh, dass sie die ungeliebten Brüder losgeworden sind. »Ich habe echt drei Kreuze gemacht, als ich die SMS las, dass die rübergemacht haben«, so Heiko, der Bandido. Doch nicht jeder in der Gang reagiert so verständnisvoll: »Dieser Zustand ist eine Zeitbombe, die explodieren wird. Nicht diesen Monat und auch nicht dieses Jahr, aber der Knall kommt«, heißt es wenig später im Netz.
Und wirklich: Dauerhaft befrieden wird die Aufnahme der Erzfeinde die Rockerszene nicht, wie sich bald schon zeigen wird. Denn vielleicht gilt für die Bruderschaften ohnehin und ganz grundsätzlich Matthäus, Kapitel 10, Vers 34: »Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert!«
KAPITEL 6 HEUTE DEUTSCHLAND, MORGEN DIE GANZE WELT
Rocker auf
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