Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Expansionskurs
Unwillkommen im Norden
I m Jahr 2009 expandieren die Bandidos auch nach Schleswig-Holstein. Das hört sich unspektakulär an, ist aber für Szenekenner eine Sensation. Denn der Norden der Republik ist seit vielen Jahren Stammland der Hells Angels, während die Banditen wiederum in Skandinavien stark sind.
Die Bandidos errichten also einen Außenposten auf feindlichem Territorium, und das mit Typen, die auf jegliches Kriegsvokabular abfahren – gewalterprobten Neonazis. Die haben zwar eigentlich kein Interesse am organisierten Motorradfahren, können dafür aber mit Brutalität glänzen. Und nichts anderes zählt seinerzeit im Dauerkonflikt der Rockergangs.
In den Augen normaler Menschen essen die Männer lediglich Sandwiches in einem Schnellrestaurant in der deutschen Provinz. In den Augen ihrer Rivalen begehen die drei Rocker jedoch ein schweres Vergehen: Sie haben sich auf fremdes Terrain gewagt und verletzen damit den Hegemonieanspruch ihrer Gegner, wofür sie brutal bestraft werden. Mittelalterliche Revierkämpfe im Schleswig-Holstein des 21. Jahrhunderts.
Am 13. Januar 2010 betreten drei Mitglieder der Red Devils »North End« eine Subway-Filiale in Neumünster. Sie verspeisen ihre belegten Toastbrote an einem Tisch an der langen Fensterfront. In der vielschichtigen Subkultur der Motorradclubs unterstützen die Red Devils die mächtigen Hells Angels, den weltweit größten und gefährlichsten Club. Doch in Neumünster residiert neuerdings ein Ableger des weltweit zweitgrößten Clubs, der Bandidos. Und die reklamieren die 77000-Einwohner-Stadt südlich von Kiel mittlerweile für sich, für sie ist Neumünster seit 2009 Bandidos-Land.
Nach dem Snack entsorgen die drei Red Devils brav ihren Fastfood-Müll. Plötzlich stürmen mehrere Maskierte in das Schnellrestaurant und brüllen: »Kutten her!« Die Angreifer stechen mit Messern auf die Kontrahenten ein und nehmen ihnen die Rockerwesten ab. Ein Opfer bleibt schwer verletzt liegen.
Die blutige Attacke an dem kalten Wintertag bildet einen Höhepunkt in dem gewalttätigen Rockerkrieg zwischen Hells Angels und Bandidos im Norden der Republik. Später werden mehrere Männer wegen des Überfalls angeklagt. Doch nur einem kann die Tat schließlich nachgewiesen werden: dem Bandido und Neonazi Peter Borchert. Der Konflikt in Schleswig-Holstein ist untrennbar mit seinem Namen verbunden. Ohne den ehemaligen Landesvorsitzenden der rechtsextremen NPD hätte es keine Bandidos zwischen Nord- und Ostsee gegeben. Ohne den Schwerkriminellen wäre die Fehde weniger blutig verlaufen. Und ohne ihn hätte die Polizei wohl viele Steuermillionen sparen können. Wer ist dieser Mann?
Heikendorf, nördlich von Kiel, Heimat der kleinstädtischen Mittelschicht. Einfamilienheime, zweistöckige Reihenhäuser mit Flachdach, gestutzten Vorgärten, durchschnittlich großen Autos. Hier wohnt auch ein Professor mit seiner Gattin, einer gelernten Krankenschwester.
Auf dem Rahmen der Haustür steht die Segnung »20 C+M+B 10«, denn die Eheleute sind gläubige Katholiken. Es regnet heftig, als die ältere Frau höflich lächelnd öffnet. Die Mutter des Messerstechers, Neonazis, brutalen Rockers ist eine bescheidene, demütige Person, aber sie ist auch verzweifelt, das sieht man sofort. Denn wieder einmal hat sie die Geschichte ihres Adoptivsohns eingeholt.
Sie will nicht reden und spricht dann doch: Sie und ihr Mann hätten alles versucht mit Peter, nichts habe geholfen. Vielleicht war schon alles verloren, als sie ihren Sohn Mitte der siebziger Jahre zu sich holten. Da war der Junge schon knapp drei Jahre alt.
Wer zu Peter Borchert recherchiert, der findet: Der Mann hat oft mit dem Messer zugestochen und viele Spuren im Justizsystem hinterlassen. Seine Biografie lässt sich aus Akten zusammentragen.
Borchert kommt am 5. September 1973 zur Welt. Seine Mutter arbeitet als »minderbegabte« Küchenhilfe in einer Dortmunder Brauerei. Der Vater ist Türke, er jobbt als Filmvorführer. Der Säugling wird zu Pflegeeltern gegeben, doch die sind schon Rentner und überfordert mit dem Neugeborenen. Sie scheitern bei der Erziehung des Kleinkindes. Im Juni 1976 adoptiert das Ehepaar den Jungen.
Kindergarten und Grundschule verlaufen unauffällig. In der Pubertät brechen Peters Aggressionen dann aber ungehemmt nach außen, er streitet fast täglich mit seiner Adoptivmutter. Die Brüllereien hält die Frau irgendwann nicht mehr aus, sie bricht gesundheitlich zusammen. Peter wiederum
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