Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
vielleicht das Blatt wenden.
Ein Hells Angel stirbt
Die letzte Fahrt im Leben des Rockers Michael B. endet am 13. August 2008, kurz nach Mitternacht, mitten auf einer Straße im Nordosten Berlins. Seine Mörder lauern dem 33 Jahre alten ungelernten Gerüstbauer auf und eröffnen das Feuer. Schwer verletzt versucht er noch zu fliehen, doch dann bricht B. zusammen und stirbt. Die Täter konnten bis heute nicht ermittelt werden.
Ein paar Tage später erklärt Bernd Finger, Leitender Kriminaldirektor im Landeskriminalamt: »Wir bemerken jetzt mit dem Mord an diesem Rocker, dass sich auch in Berlin die Gewaltspirale nach oben dreht. Die Hauptstadt passt sich dabei in ein bundesweites Gefährdungslagebild ein, das von großer Brisanz kündet.« Die Beamten richten das Hauptaugenmerk ihrer Ermittlungen auf eine Truppe: die Hells Angels. Und das nicht ohne Grund.
Michael B. war lange Jahre ein treuer Höllenengel, auf ihn konnten die »Brüder« zählen. Er teilte schneller aus als die meisten anderen, war unerschrocken, aufgepumpt und ging keiner geregelten Arbeit nach. Doch die »Geschäfte« liefen nicht allzu gut, abends fuhr er regelmäßig auf dem Moped zur Tankstelle und holte sich ein paar Bier. Richtige Freunde hatte er in der Plattenbausiedlung, in der er wohnte, nicht, B. galt als jähzornig und schwer zu steuern. Ein Outlaw durch und durch.
Doch nach Erkenntnissen der Polizei soll Michael B. zuletzt die Fronten gewechselt haben und zu einem Unterstützerverein der Bandidos übergelaufen sein. Acht Tage vor seinem Tod kursiert eine SMS in der Szene, gesendet an einen Kumpel des Rockers: »Dein Kumpel B. hängt wieder bei den Banditen ab. Der fährt sogar mit denen rum.«
Als SPIEGEL-TV -Reporter damals bei den Bandidos nachfragen wollen, taucht, die Fäuste geballt, Grischa Vowe auf und herrscht das Kamerateam an, sofort zu verschwinden. Über Verräter redet niemand gerne. Vowe wird übrigens später ebenfalls die Bandidos im Stich lassen und zur Konkurrenz überlaufen, aber das ahnt seinerzeit wahrscheinlich noch nicht einmal er selbst.
Auf Verrat steht in den Gangs der Tod. Abstufungen gibt es nicht, die Welt der Rocker ist eingeteilt in Schwarz und Weiß, in Verrat oder Loyalität. Auch sind Rocker der Ansicht, dass Verrat keine entschuldbare Form der List ist. Verrat ist vielmehr der Angriff auf zwei wichtige Grundpfeiler des menschlichen Lebens: Vertrauen und Treue. In feudalistischen Zeiten galt die Treue als wertvollste aller Tugenden. Den Banden wiederum gilt der Verrat als das schlimmste aller Verbrechen. Deshalb, davon kann man wohl ausgehen, musste Michael B. sterben.
Betrachtet man die Entwicklung in der Berliner Rockerszene, sollte man auch über die Landesgrenze hinweg nach Brandenburg sehen. Das Land umschließt die Hauptstadt vollständig, kein Wunder, dass viele Biker die märkische Ebene als Fluchtort oder Ausweichquartier betrachten. Die Nähe zu Polen ist sowohl für die Bandidos als auch für die Hells Angels interessant, macht doch die Organisierte Kriminalität an der Oder nicht Halt. Die Größe Brandenburgs und die dünne Besiedlung haben für die Rocker den Vorteil, dass der Ermittlungsdruck hier nicht so hoch ist wie in Berlin.
Das »Lagebild Rocker« des brandenburgischen Landeskriminalamts verzeichnet im Jahr 2009 noch 171 Mitglieder der Gangs, zwei Jahre später sind es bereits 414. Vor allem die fast totgesagten Hells Angels haben sich personell verstärkt. Innerhalb eines Jahres verdoppeln sie die Anzahl ihrer sogenannten Unterstützerclubs, so dass auch deren Mitgliederzahlen rasant steigen – von neun im Jahr 2009 auf 124 im Jahr 2011. Deutlich wird: Da ringt eine Gang nicht mehr ums Überleben, sondern da will sie die Macht zurück.
Die gefährlichsten Gegner der Hells Angels in der Hauptstadtregion sind die jungen Einwanderer des Bandidos-Chapters »Centro«. Ob mit Baseballschlägern und Macheten in Finowfurt, mit dem Messer wie bei dem Überfall auf Robert F. oder mit Pistolen – die jungen Wilden um Kadir Padir haben keine Scheu, den Höllenengeln ständig nach dem Leben zu trachten. Nun gibt es für die Attackierten zwei Möglichkeiten, mit den Aggressoren umzugehen: Entweder die Hells Angels vergelten Gleiches mit Gleichem und greifen zu den Waffen – oder sie machen aus Feinden Freunde.
»Das sind gute Jungs, die passen zu uns«
Die Potsdamer Charlottenstraße gehört zu den besseren Adressen der brandenburgischen Landeshauptstadt. Im Erdgeschoss des
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