Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
rutscht in der Hauptschule ab und rebelliert gegen seine Lehrer.
In dieser Zeit findet Borchert für sich eine neue Familie, es ist die rechte Skinhead-Szene von Heikendorf. Die pubertierenden Glatzen nennen sich »East-Shore-Boys«, weil ihr Örtchen am östlichen Ufer der Kieler Förde liegt. In dieser Szene trifft Peter Borchert auf seinen späteren Rivalen in dem 20 Jahre später ausbrechenden Rockerkonflikt: Dennis Kofoldt.
1989 eskaliert die Situation im Elternhaus Borchert, denn Peter klaut Geld. Er bewaffnet sich. Auf seinen Baseballschläger aus Holz kritzelt er: »Diese gute Keule ist rechts«, »Skinhead Power Deutschland« und »Kanaken raus«. Der Vater nimmt seinem Sohn ein Springmesser und ein Nunchaku ab. Diese japanische Waffe besteht aus zwei Holzstangen, die durch eine Kette verbunden sind, Juristen sprechen von »Würgeholz«. In ihrer Verzweiflung wollen die Eltern Peter ins Heim stecken.
Doch es kommt anders. Damit er keinen Kontakt mehr zur lokalen Glatzenszene hat, zieht Peter Borchert nach Hooksiel bei Wilhelmshaven. Dort wohnt seine Tante, die Schwester seines Adoptivvaters. In diese Familie lebt sich Peter gut ein. Es geht aufwärts. Er schafft seinen Hauptschulabschluss, und zusammen mit seinem Onkel, einem Berufssoldaten bei der Bundeswehr, schmiedet er Zukunftspläne. Die beiden überlegen, ob es sinnvoll sein könnte, direkt als Soldat zur Truppe zu gehen oder erst den Realschulabschluss nachzuholen.
Die Gedankenspiele beendet Peter auf eine Weise, die er in seinem Leben noch viele Male wiederholen wird. Er schafft am 10. Juli 1990 Fakten mit dem Messer.
An diesem Abend fahren Borchert, damals 16, und ein 15-jähriger Kumpel mit dem Taxi von Wilhelmshaven nach Hooksiel. Doch sie haben kein Geld mehr, alles ausgegeben für Cola, Hamburger und ein neues Messer für 14,90 Mark.
Sie dirigieren das Auto auf einen Parkplatz in der Nähe des Campingplatzes von Hooksiel. Der Freund sitzt vorne, Peter Borchert hinter dem Fahrer. Borchert zieht das Fahrtenmesser aus der Innentasche seiner Jacke. Er sticht zu. Mit voller Kraft. Zuerst mehrfach auf den rechten Oberarm und die Schulter. Borchert rammt die Klinge auch in die Brust des Fahrers. Blut spritzt auf die Windschutzscheibe. Der Fahrer löst trotz der Verletzungen einen akustischen Alarm aus. Die jugendlichen Täter flüchten.
Der Notarzt im Reinhard-Nieter-Krankenhaus in Wilhelmshaven protokolliert später die Verletzungen: fünf Stichwunden am rechten Unterarm, vier Stichwunden am rechten Oberarm, zwei Stichwunden in der Schulter, zwei Stichwunden an der linken Hand, Bruch des fünften Fingers, eine fünf Zentimeter tiefe Stichwunde zwischen der vierten und fünften Rippe im Brustbereich.
Der Stich in die Brust ist lebensgefährlich. Die Wunde blutet in die Lunge. Die Ärzte legen eine Lungendrainage und retten das Leben des Taxifahrers, der fast ein halbes Jahr in ärztlicher Behandlung bleibt. Seine linke Hand wird der Mann nie wieder voll belasten können.
Das Landgericht Oldenburg verurteilt Peter Borchert im Januar 1991 zu drei Jahren Jugendstrafe wegen Körperverletzung. Eine Tötungsabsicht konnten die drei Richter nicht erkennen. Die psychiatrische Gutachterin diagnostiziert »erhebliche Aggressionsspannungen und ausgeprägte Destruktionsbedürfnisse«. Weiter heißt es im Urteil, Größenideen und Selbstsicherheit stünden im Gegensatz zu Gefühlen der Minderwertigkeit und Unsicherheit.
In der Untersuchungshaft quält Borchert, mittlerweile 17, einen anderen Insassen. An Weihnachten 1990 presst er seinem Opfer die Wangenknochen zusammen, bis dieser aus dem Mund blutet. Er drückt eine brennende Zigarette auf dem Unterarm seines Opfers aus und fordert ihn auf, seinen rechten Schuh abzulecken. Er fragt ihn, wie lange er noch leben wolle. Nicht ohne Stolz in der Stimme verkündet er: »Ich habe bereits einen Menschen aus Lust und Laune umgebracht.« Doch das ist wohl gelogen.
Angriff auf einen Busfahrer
Als Peter Borchert zum ersten Mal im Gefängnis sitzt, ist der Rockerkrieg in Schleswig-Holstein zwischen Hells Angels und Bandidos noch weit weg. Dafür fehlen Anfang der neunziger Jahre zwei entscheidende Dinge: Hells Angels und Bandidos.
1991 gibt es noch keine Bandidos in Deutschland. Die Hells Angels sind in der deutschen Clubszene Randfiguren, ein paar Dutzend Typen, nicht mehr. Den Ton geben damals der aus Mannheim stammende Gremium MC und der Bones MC an – und bei Letzterem sitzen viele Rotlichtgrößen auf der
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