Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
den Kieler Hells Angels bis zum Vize-Präsidenten auf.
Der Zwei-Meter-Mann veranstaltet die Kieler Tattoo-Convention. Eine lukrative Messe, auf der Studiobetreiber ihre Arbeiten präsentieren. Der Privatsender Sat.1 bastelt für Kofoldt sogar ein eigenes Fernsehformat: Darin besucht der Experte schlecht laufende Tattoo-Geschäfte und brüllt den Inhabern seine Verbesserungsvorschläge ins Gesicht.
Nur zwei Monate nach der Messerattacke in der »Mausefalle« rollt die Technoparade G-Move durch die Kieler Innenstadt, Love Parade mit Fördeblick. Ralf D., inzwischen Höllenengel-Feind Nummer 1, begleitet als Sicherheitsmann einen Musiktruck. Die Karawane passiert die Hells-Angels-Kneipe »Sansibar«, wo mehrere Rocker auf dem Bürgersteig stehen und das bunte Treiben beobachten.
Ralf D. hat vorgesorgt. In einer Bauchtasche trägt er eine scharfe Pistole und 15 Schuss Munition. Doch die Angels wagen den Angriff nicht. Zu viele Zeugen, zu viel Polizei. Ralf D. wird später kontrolliert und wegen unerlaubten Waffenbesitzes angezeigt. Dennoch verlässt er den G-Move als Sieger. Er hatte die Chuzpe, vor der »Sansibar« aufzutauchen. Im Szenejargon heißt so etwas: »Der macht sich grade.«
Jetzt steht es zwei zu null für die Brüder D., die Kieler Angels liegen hinten und müssen reagieren. Sonst verlieren sie Reputationspunkte auf dem Milieu-Index, und das könnte schlecht fürs Geschäft sein. Wer in der Halb- und Unterwelt schwächelt, büßt schnell seine Einnahmequellen ein.
Die Rocker bekommen ihre Gelegenheit zur Image-Aufbesserung. Am 29. August 2008 muss Ralf D. vor dem Kieler Amtsgericht erscheinen. Angeklagt ist er wegen der Messerattacke in der Diskothek »Mausefalle.« Eine gute Gelegenheit für die Angels. Sie wissen, wann und wo ihr Gegner auftaucht. Und er wird ohne Waffe in den Verhandlungssaal spazieren, so das Kalkül der Rocker.
Doch Ralf D. kommt nicht alleine, ihn unterstützen echte Fachkräfte für Gewaltdelikte: der angstfreie Neonazi Peter Borchert und eine achtköpfige Sturmabteilung der Autonomen Nationalisten. Um 8.45 Uhr stehen die rechten Schläger bereits vor dem Amtsgericht, als die Hells Angels auftauchen. Unter ihnen der Tätowierer Dennis Kofoldt. Eine Szene wie in einem Hooligan-Film. Nach einer verbalen Ouvertüre wird die Auseinandersetzung schnell mit Fäusten und Waffen ausgetragen.
Ein Beamter sagt später aus: »In meiner 26-jährigen Polizeilaufbahn habe ich so eine geballte Aggressivität und Brutalität noch nie gesehen.« Ein Neonazi erweitert seine körperlich mittelmäßige Wirkung mit einem Messer – Peter Borchert. Er sticht Dennis Kofoldt und einen weiteren Hells Angel nieder. Er hält die Waffe noch in der Hand, als ihn ein Zivilpolizist mit gezogener Waffe festnimmt.
»Aus Notwehr« habe er zugestochen, sagt Borchert später in einem Prozess vor dem Kieler Landgericht. Diese Behauptung ist nicht zu widerlegen. Alle schweigen, Nazis und Rocker. Der Richter spricht Borchert frei und sagt: »Der Rechtsstaat kommt an seine Grenzen, wenn selbst die Opfer und unmittelbaren Zeugen mauern.«
Die Gewaltorgie vor dem Kieler Amtsgericht endet für die Hells Angels im Desaster. Zwei Mitglieder schwer verletzt und der Ruf erneut ramponiert. Die Avantgarde der Halbwelt – gedemütigt von ein paar Neonazis. Jetzt liegen die Angels drei zu null hinten. Zum ersten Mal haben sie als Gruppe versagt, der Druck steigt.
Mit Waffen und einer Frau
Die neueste Waffe der Höllenengel hat kurze blonde Haare, wenngleich auch nicht von Natur aus. Beatrice F., 19, genannt »Bea«, ist mit dem niedergestochenen Dennis Kofoldt verlobt. Im Internet nutzt sie ein bekanntes Portal für soziale Kontakte.
Auch André D., der Bruder des mutmaßlichen Messerstechers Ralf D., treibt sich dort herum und freundet sich ausgerechnet mit Bea an. Irgendwann schickt die Blondine ein selbstgedrehtes Video, das keine Wünsche offenlässt. Die Bilder zeigen die junge Frau nackt in der Badewanne. Die Kamera steht am Beckenrand zwischen ihren Füßen, sie streichelt sich.
Bea F. und André D. verabreden sich zu einem Saunabesuch in der Holstentherme in Kaltenkirchen nördlich von Hamburg – vermutlich weiß D. nicht, dass Bea mit dem Hells Angel Kofoldt liiert ist.
Am 29. Januar 2009 steuert Bea F. ihren Kleinwagen in Richtung Spaßbad, auf dem Beifahrersitz freut sich André D. wahrscheinlich nicht nur auf die Sauna. Die 19-Jährige fährt das Auto in den hintersten Winkel des Parkplatzes, obwohl im
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