Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
vorderen Teil genügend Plätze frei sind. Es ist schon dunkel draußen. Als die beiden aus dem Auto steigen, feuern zwei dunkel gekleidete Maskenmänner insgesamt fünf Kugeln auf André D. ab. Ein Projektil zertrümmert dessen Oberschenkelknochen. Das Opfer überlebt schwer verletzt, doch D. wird nie wieder schmerzfrei laufen können.
In dieser Zeit organisieren sich die Gegner der Kieler Hells Angels, es ist ein eigentümlicher Mix aus Neonazis um Peter Borchert, Zuhältern und Rockern. Die Angels haben sich als selbsternannte Alphatiere in der norddeutschen Motorradclubszene und im Milieu viele Feinde gemacht. Bisher konnten sie es sich leisten. Jetzt wittert die Gegenseite ihre Chance. Die bunte Truppe will sich einer großen Gang anschließen, es geht dabei um einiges, aber nicht ums Motorradfahren. Die Männer brauchen vielmehr personelle Unterstützung, ansonsten haben sie im Kampf gegen die Hells Angels keine Chance. Also sprechen die Herausforderer mit dem Motorradclub Gremium, der zahlenmäßig größten Gang in Deutschland, doch eine Zusammenarbeit scheitert. Bleiben also noch die Bandidos – Erzfeind der deutschen Höllenengel.
Eine norddeutsche Delegation reist nach Bochum zum Chef-Bandido Peter Maczollek. Bei ihm muss damals jeder vorsprechen, der in Nord-, West- und Ostdeutschland ein Chapter eröffnen will. Für diese Regionen ist Maczollek als »Vice-President Europe« zuständig.
Der Antrittsbesuch in Bochum verläuft für die Nordlichter positiv. Sie dürfen im Mai 2009 den Probe-Club Bandidos »Neumünster« gründen. Die Neonazi-Vergangenheit Peter Borcherts stört den Bandidos-Boss nicht. Im SPIEGEL-TV -Interview sagt Maczollek: »Uns interessiert das nicht, ob das ein Neger ist, ob das ein Türke ist, ob das ein Rechter oder ein Linker ist. Bei uns sind sie alle gleich.« Auch die opulente Vorstrafensammlung ist kein Ausschlusskriterium. Generell interessiert es die Bandidos nicht, wie kriminell ein Mitglied ist oder wahr.
Nur eine Personalfrage löst Kopfschmerzen im Bandidos-Hauptquartier aus, sie trägt den Namen Meick K. Denn die Neu-Rocker wollen diesen Ex-Hells-Angel und Kieler Zuhälter aufnehmen. Einerseits könnten die Bandidos von seinen Insiderkenntnissen profitieren, Meick K. soll Informationen über Geschäfte, Bewaffnung und Anzahl der Hells Angels liefern.
Anderseits haben einige »Hüte« – so der Szenename der Bandidos – K. nicht verziehen, dass er sich im Jahr 2000 an einem brutalen Überfall auf die Bandidos beteiligt hat. Damals schlugen Höllenengel an einer Kieler Kreuzung mit Eisenstangen auf ihre Gegner ein. Die westdeutschen Bandidos waren auf der Durchreise nach Norwegen. Dass K. mindestens 1,5 Tonnen Marihuana nach Deutschland gebracht und verkauft hat und deswegen fast fünf Jahre lang im Gefängnis sitzen musste, stört die Rocker dagegen wohl nicht so sehr.
Oberhaupt Maczollek darf die Aufnahme des Problemfalls Meick K. nicht alleine abnicken. Für Grundsatzfragen ist das Präsidenten-Parlament zuständig: Alle deutschen Clubchefs diskutieren auf einem »Meeting« basisdemokratisch über den Angels-Aussteiger, am Ende wird er aufgenommen. Eine Kampfabstimmung ist nicht nötig.
Die Eröffnung des Bandidos-Standortes Neumünster ist ein Paukenschlag in der Motorradclubszene – und eine ungekannte Provokation der Hells Angels. Generell beanspruchen die Banden seit den Anfängen der Szene in den siebziger Jahren Territorien für sich, als eine Art Rocker-Staatsgebiet. Die Clubs deuten es als Angriff auf ihre Souveränität, wenn eine andere Bande ohne Erlaubnis in ihr Revier eindringt – wie im Tierreich.
Die Hells Angels reagieren bereits vor der offiziellen Eröffnung des neuen Bandido-Chapters mit einer Truppenparade. Am 1. Mai 2009 fahren mehrere Kleingruppen auf verschiedenen Wegen nach Neumünster. Etwa 100 Höllenengel und Unterstützer treffen sich auf dem Marktplatz in der Innenstadt, zum Kaffeetrinken und Eisessen. Erst das Vergnügen, dann die Rockerarbeit. Im Konvoi knattern die Harleys über die Kummerfelder Straße aus Neumünster heraus. Hier, im Stadtteil Gadeland, lebt Ralf »Ralle« B. in einem schicken Einfamilienhaus mit hohen Mauern und Videokameras. Er ist der designierte Chef des neuen Bandido-Chapters. Das Signal ist eindeutig: Wir wissen, wo du wohnst!
Die Kieler Angels betreiben auch klassische Hinterzimmerpolitik. Sie zitieren bislang neutrale Motorradclubs zu sich und machen eine klare Ansage: »Wer nicht für uns ist, ist
Weitere Kostenlose Bücher