Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
handelt es sich bloß um ein gute inszenierte Aufführung, ein Theaterstück auf einer Freilichtbühne aus Asphalt. Neid, Missgunst und Egoismus herrschen unter Rockern mindestens genauso wie in Model -WG s oder CSU -Ortsvereinen – meistens aber noch viel stärker und mit teilweise tödlichen Konsequenzen.
Das Biker-Mantra des »Einer für alle – alle für einen« ist bei genauerer Überprüfung in etwa so zutreffend wie die Annahme, Heroin und Crack führten zu Freiheit und Selbstbestimmung. Denn die Realität zeichnet ein anderes Bild vom Mit- und Gegeneinander der angeblichen Clubkameraden. Brüderlichkeit ist eine nette Idee, in der Wirklichkeit gilt bei den Motorradgangs jedoch vor allem ein Gesetz: das unbedingte Recht des Stärkeren.
So sind auch viele Rocker-Abteilungen das alleinige Resultat erbitterter interner Streitigkeiten. Ein Beispiel dafür sind die Bandidos »Recklinghausen« im Ruhrgebiet. Die meisten Mitglieder dieses Chapters waren vorher bei den Essener Bandidos, hatten dort aber keine Lust mehr auf den autoritären Präsidenten Martin B. Die Gruppe spaltet sich 2005 über diese Personalie in zwei Fraktionen, und die Unzufriedenen eröffnen ihre eigene Dependance in der Nachbarstadt. Wie man sich vorstellen kann, wäre das Verhältnis zwischen den beiden Chaptern seitdem mit »unterkühlt« noch recht wohlwollend beschrieben.
Im Februar 2008 schlagen drei Bandidos aus Recklinghausen ihr eigenes Mitglied Marco F. brutal zusammen und schmeißen ihn aus dem Club. Doch nur eine Woche später ist er schon wieder Rocker. Die Essener Bandidos haben den Ausgestoßenen bei sich aufgenommen. Mit biblischer Barmherzigkeit hatte das nichts zu tun. Die Essener verhöhnen offen ihren Gegner im eigenen Lager, ein Affront, den auch der Deutschlandchef Peter Maczollek nicht duldet. Er droht am Telefon, mit einem Konvoi in Essen einzureiten und Marco F. niederzuschlagen, nicht zuletzt da er ob der Affäre um sein eigenes Ansehen fürchtet. Am Ende handeln beide Seiten eine Lösung aus, die bei allen Beteiligten schlechte Laune zurücklässt: Marco F. wird degradiert, darf aber als »Supporter« weiterhin die Essener unterstützen.
Rocker-Diplomatie ist eine sehr zähe Angelegenheit. Viele Gespräche scheitern schon im Ansatz. Geltungssucht und mangelnde Kritikfähigkeit sind keine guten Voraussetzungen für eine gütliche Einigung, und viele Rocker sind mit diesen beiden Eigenschaften reichlich gesegnet. Wer in der Zivilgesellschaft keine Regeln akzeptiert, macht es im Clubheim oft nur, weil er die brutalen Konsequenzen fürchtet. Die Bruderschaften basieren daher vor allem auf Angst und Zwang.
Enorm ausgeprägt ist die Rivalität zwischen einzelnen Abteilungen mit denselben Vereinsfarben. Die bereits beschriebene Abneigung zwischen Essen und Recklinghausen im Banditen-Lager ist kein Einzelfall. In Berlin existieren zeitweise nicht weniger als sieben unterschiedliche Bandidos-Dependancen. Dahinter steckt kein ausgeklügelter Expansionsplan, sondern die schlichte Tatsache, dass die einzelnen Abteilungen eher Konkurrenten als Brüder sind. Die Alt-Rocker »Berlin City« und die türkischen Neu-Rocker »South Central« fühlen sich in etwa so verbunden wie Volksmusikanten und Gangsterrapper.
Bei den Bandidos oder Hells Angels ist es im Grunde wie in einer Partei oder einem Museumsverein. Das einzelne Mitglied will gemeinsam Projekte anpacken, die es alleine nicht hinbekommt: soziale Gerechtigkeit schaffen, Dampflokomotiven retten oder eben Motorrad fahren, Bordelle übernehmen und Drogen verkaufen. Allerdings sind bei den Motorradclubs die meisten Charaktere gänzlich ungeeignet für eine funktionierende Gemeinschaft.
Wie es in einer Rockerfamilie knirscht und kracht, kann etwa das Bochumer Kriminalkommissariat 21 zwischen 2007 und 2009 live mitverfolgen. Bei der bereits erwähnten Abhöraktion der Ermittlungskommission »Hombre« sammeln die Ermittler zwar keine Beweise für eine kriminelle Vereinigung, aber die mitgeschnittenen Gespräche wären für jeden Soziologen, der das Gruppenverhalten der Rocker untersuchen möchte, eine wahre Fundgrube.
2008 sind Peter Maczollek und Leslav Hause die dominierenden Köpfe in Bochum. Zwei eng befreundete Vollblut-Bandidos der ersten Stunde, die schon den Vorgängerclub Ghostriders prägten. Daneben versammeln sich am Member-Tisch noch Rudi Heinz »Eschli« Elten (Hooligan, Geldeintreiber), Peter »Bazi« B. (Bordellbetreiber), Thomas »Glatze« S. (Ex-Hells-Angel,
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