Rockerkrieg: Warum Hells Angels und Bandidos immer gefährlicher werden - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
Rockerverfassung setzt sogar Bildungsstandards für die Führungskräfte. »Alle Chapter Presidents und Chapter Secretaries müssen englisch kommunizieren können«, heißt es im Regelwerk der Bandidos.
Die Satzung endet mit Punkt 42: »Alles, was nicht niedergeschrieben ist, wird durch den gesunden Menschenverstand geregelt.« Exakter müsste es heißen, »wird durch den gesunden Menschenverstand des Präsidenten geregelt«. Denn sehr oft beanspruchen die Chapter-Bosse für sich das Recht, über Falsch oder Richtig zu entscheiden, Ankläger und Richter in einer Person zu sein. Peter Maczollek fordert beispielsweise in seiner Funktion als Anführer des Ortsvereins Bochum ein Mitglied auf, zu einem wichtigen Clubtermin im Mai 2008 zu erscheinen. Maczollek: »Ansonsten degradiere ich dich zum Prospect.« Chapter-Bosse besitzen oft das alleinige Faustrecht und schlagen zu, wenn ein Gefolgsmann sich danebenbenimmt. »Backpfeifen verteilen«, heißt das Exekutivrecht in der Rockersprache.
DIEREGELNDERROCKER – EINEAUSWAHL
Rockervereine sind keine Stuhlkreise, in denen jeder eine Meinung haben und mitreden darf. Der deutsche Bandidos-Boss Peter Maczollek sagt seinem Vertrauten Leslav Hause einmal, das Leben bei ihnen sei »keine Demokratie«, sondern eine »Diktatur«. Einer befiehlt, die anderen gehorchen – und Verspätungen zur Clubhaus-Wache können in Bochum schon einmal 150 Euro kosten.
Für die Hells Angels im Bundesgebiet gelten wiederum die »MC Germany Rules«, die unter anderem vorsehen: »keine Bullen oder Ex-Bullen im Club« (Regel Nr. 22), »keine Verräter im Club« (Nr. 23), »bei Verhaftung – nur Name und Rechtsanwalt« (Nr. 34).
Darüber hinaus müssen sich die Höllenengel an die »World Rules« halten, die einst der Ex-Hells-Angel Ulrich Detrois in seinem Buch enthüllte:
–»Mitgliedskarten werden nur an Mitglieder vergeben.« (Nr. 3)
– » Alle Charter müssen an den World-Meetings teilnehmen. Die Strafe für ein Fernbleiben beträgt 2000 Dollar. Gegen die Geldstrafe kann Widerspruch eingelegt werden, und wenn dieser erfolgreich ist, kann die Strafe aufgehoben werden.« (Nr. 5 A)
– » Jedes Land muss zwei Vertreter zum World-Meeting entsenden.« (Nr. 5 D)
Die Regeln der Bandidos reichen sogar über das Lebensende ihrer Mitglieder hinaus. Wer als rot-goldener Rocker Selbstmord begeht, verliert sein Anrecht auf ein Clubbegräbnis. Ein echter Bandido löst seine Probleme in der Bande, so die krude Philosophie. Nicht einmal den Freitod gönnen die Clubs dem Individuum. In der Praxis sind die Gangs bei der Auslegung ihrer Regeln aber durchaus flexibel. Als sich im Mai 2012 der Bottroper Bandido Hans B. nach Erkenntnissen der Ermittler selbst eine Kugel in die Brust schießt, zweifeln die Bandidos diese offizielle Version umgehend an. Folglich ist in der Logik ihrer Bande auch ein Staatsbegräbnis möglich, mit allen Ehren für den gefallenen »Bruder«.
Rocker hinter Gittern
Rockergangs wie die Hells Angel oder Bandidos verstehen sich als internationale Bruderschaften. Ein ewiges Bündnis, so die Theorie, das nur der Tod aufhebt. Tatsächlich verhalten sich die Clubs erstaunlich solidarisch, wenn ein Mitglied ins Gefängnis wandert. Er bleibt wie selbstverständlich Teil der Gemeinschaft. Die Clubs investieren viel Zeit und Geld, um einen eingesperrten Kumpel bei Laune zu halten. Doch hinter dieser Fürsorge steckt auch Kalkül, wie wir im Folgenden sehen werden.
Am 23. Februar 2008 ist der Bochumer Bandido »Eschli« Elten mit zwei Kumpels auf dem Weg in die Niederlande. Die drei Männer wollen im Nachbarland ihr Hobby ausleben – Gewalt, dieses Mal jedoch ohne Rockerbezug. Denn Elten ist nicht nur Mitglied der Bandidos, sondern auch der »Gelsen-Szene«, einer Hooligan-Truppe, die sich seit Jahrzehnten bei Spielen des FC Schalke 04 prügelt und schon halbe Innenstädte zerlegt hat.
Doch an diesem kalten Wintertag 2008 fällt der hämatöse Freizeitspaß aus. Bei einer Kontrolle finden holländische Polizisten eine scharfe Pistole im Auto der deutschen Schläger. Sie wandern ins Gefängnis. Und obwohl »Eschli« Elten als Hooligan und nicht als Rocker verhaftet wurde, fühlen sich die Bochumer Bandidos sofort für ihn zuständig. Der hochrangige Rocker Leslav Hause fährt persönlich nach Holland und besorgt einen Anwalt.
Die Gefangenenbetreuung ist eines der Kernthemen auf der Rocker-Agenda, ungefähr so wichtig wie der Atomausstieg für die Grünen oder Steuersenkungen für die FDP
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