Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rocking Horse Road (German Edition)

Rocking Horse Road (German Edition)

Titel: Rocking Horse Road (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Nixon
Vom Netzwerk:
die Fotos von Lucy gefunden hatte. Es ist sogar wahrscheinlich, daß sie schon anfing zu wachsen, als Pete Lucys Leiche am Strand fand. Jetzt aber war sie endlich gestillt. Keiner von uns sprach oder sah einen anderen an.
    Erst jetzt bemerkten wir, daß der Rasen komplett unter Wasser stand. Wo wir den Sand aufgehoben hatten, war jetzt Wasser. Wasser umspülte unsere Knöchel. Als wir uns umsahen, erkannten wir, daß die Straße und die Grundstücke um die nächsten Häuser ebenfalls von Wasser bedeckt waren.
    Wir wußten nicht, was wir tun oder auch nur denken sollten, also blieben wir einfach knöcheltief im Wasser stehen und schauten auf das Feuer. Es kam uns wie eine lange Zeit vor. Der Feuerschein spiegelte sich auf dem Wasser. SJ ignorierten wir. Er lag bewegungslos auf dem Rücken, Licht und Dunkel trieben ein Wechselspiel auf seinem Körper. Für uns bedeutete er nicht mehr als ein Bündel alter Kleider, das irgendwer in das steigende Wasser geworfen hatte. Erst als die erste Sirene ertönte, noch weit weg, dünn und langgezogen wie das Sirren eines Moskitos in der Nacht, erwachten wir aus unserer Trance. Einer nach dem anderen wandten wir uns um und verschwanden im Dunkel der Rocking Horse Road.
Die schlimmsten Prophezeiungen der Pessimisten über die Zukunft von The Spit hatten sich endlich bewahrheitet. In der Nacht des 6. Juli 1981 versank The Spit unter den Wellen.
    Der gewaltige Niederschlag, zweihundert Millimeter in acht Stunden, hatte sich mit einer ungewöhnlich hohen Flut verbunden. Der Regen war im Sand versickert wie immer, stieß dort aber bald auf einen stark angestiegenen Grundwasserspiegel. Das Wasser konnte also nicht mehr abfließen.
    Auf der ganzen Landzunge waren Mensch und Tier verunsichert, wo das Meer und wo die Lagune begannen und endeten. Als Jim Turner in der Dunkelheit nach Hause ging, sah er einen Schwarm Sprotten die Rocking Horse Road entlangschwimmen. Das Licht seiner Taschenlampe ließ sie silbern erglänzen, und sie stoben nach links und rechts davon, um der Bugwelle zu entgehen, die Jims Füße vor sich herschoben. Roy Moynahan erzählte, daß er fast schon zu Hause war, als er plötzlich auf einem kleinen Stachelrochen stand, der sich unter seinen Füßen wand und drehte, so daß er stürzte. Später erst sah er den Einschnitt in seiner Hose, wo der Schwanz des Rochens zugeschlagen hatte. Er hatte Glück gehabt, daß er keine üble Wunde davontrug. Noch Wochen später berichteten Bewohner von The Spit, daß sie im Rinnstein oder im Garten getrocknete Seesterne fanden. Widerstandsfähige Krabben tauchten noch Monate später lebend unter Holzstößen und in Abflußrohren auf. Man erzählte sich gar eine Geschichte, wonach jemand auf seiner Außentoilette saß und plötzlich ein Kitzeln am Hintern spürte. Als er oder sie (die Geschichte kennt einige Varianten) aufsprang und in die Schüssel schaute, saß da ein recht großer Krake.
    Von der Einfahrt des Hauses seiner Eltern aus schaute Tug Gardiner die überflutete Straße entlang und entdeckte die Ashers. Sie standen auf der Eingangsstufe zum Laden. Innen brannte Licht, so daß Tug sie deutlich erkennen konnte. Es war das erste Mal seit Lucys Beerdigung, daß wir alle drei zusammen sahen. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, waren alle noch komplett angezogen. Tug erzählte, daß sie nicht sprachen, sondern nur dastanden und auf das Wasser schauten, das schon über die zweite Stufe gestiegen war und in Kürze in den Laden laufen würde. Er beobachtete sie lange; selbst als das Wasser ihre Füße erreichte, rührten sie sich nicht. »Keine Ahnung, was die wohl gedacht haben mögen.«
    Als die Morgendämmerung einsetzte, enthüllte sie eine fast durchgehende Wasserfläche von der Lagune bis zu den Sanddünen. Von den Dünen und den Hausdächern abgesehen, war The Spit wieder im Meer versunken. Das war auch das Foto auf der Titelseite von The Press am nächsten Tag: eine Luftaufnahme von einem Hubschrauber aus, auf der man die Dächer fast aller unserer Häuser sehen konnte (Exponat 124, The Press, 8. Juli 1981).
    Das Wasser stieg nur so lange, bis der Regen auf hörte und die Flut zurückging, das war kurz vor Tagesanbruch. Da begann die Überschwemmung so schnell zu verschwinden, wie sie gekommen war. Am späten Vormittag war das Wasser bereits im Sand versickert. Was blieb, waren die Schäden. In unseren Häusern waren die Teppichböden durchweicht und rochen nach Meer und Lagune. Nasser Sand haftete rundum an den Wänden,

Weitere Kostenlose Bücher