ROD - Die Autobiografie
als ich es überhaupt nicht mehr erwartete, kreuzte diese Person wieder meinen Weg.
Ende 2011 kam Jim Cregan zum Mittagessen ins Wood House nach Epping. Nach dem Lunch setzten wir uns in den White Room, und Jim griff zu seiner Gitarre und spielte mir etwas vor, das er geschrieben hatte. Und meinte dann aus heiterem Himmel: »Warum machen wir nicht einen Versuch, einen richtigen Song zusammenzubasteln?« Um ganz ehrlich zu sein: Ich hatte mich eigentlich schon auf ein sonntägliches Verdauungsschläfchen eingestellt. Aber Jim kann so ernsthaft und intensiv sein, wenn er erst einmal eine Gitarre in der Hand hat – als wolle er dir signalisieren: »Das ist jetzt ein sehr wichtiger Teil meines Lebens.« Auch wenn sich mein Interesse an einer improvisierten Schreib-Session in Grenzen hielt, schrammelte Jim einfach weiter. Ich summte ein paar Melodiefetzen dazu, und Jim nahm alles mit seinem iPhone auf. Nach einer Weile sagte ich: »Lassen wir’s gut sein, Jim.« Insgeheim dachte ich: »Das wird doch nie was.«
Er nahm unsere iPhone-Aufnahme, fuhr nach Hause ins Studio, überarbeitete seinen Gitarrenpart, drehte an ein paar Knöpfchen – und schickte mir das Resultat dann zurück. Als ich es mir anhörte, dachte ich: »Hm, warte mal, da ist ja wirklich was dran.« Und dann schoss mir irgendwie der Titel »Brighton Beach« durch den Kopf – was Songtitel eigentlich immer tun, ohne dass man ihrer Herkunft auf die Spur kommen kann –, und umgehend fing ich an, einen Text zu schreiben. Es geht um einen Jungen, einen Beatnik, der an der englischen Südküste rumhängt und das Leben in vollen Zügen genießt. Und erstaunlich zügig – viel schneller als in früheren Fällen – hatte ich plötzlich einen kompletten Song. Mehr noch: einen guten neuen Song, einen Song, auf den ich stolz war.
Und dann lief alles wie von selbst. Plötzlich wirbelten die Ideen nur so in meinem Kopf herum. Kaum dass ich michs versah, gab es noch ein neues Stück. »It’s Over« thematisiert Trennung und Scheidung. (Und wer dieses Buch gelesen hat, wird mir attestieren, dass ich auf diesem Gebiet eine echte Autorität bin.) Plötzlich stand ich mitten in der Nacht auf, um ein paar Ideen zu Papier zu bringen – was mir früher so gut wie nie in den Sinn gekommen wäre. In einem Song gebe ich meinen Kindern ein paar Ratschläge, ich einem anderen bedanke ich mich bei meinem Vater. Im Nu hatte ich sieben, acht Songs beisammen – und es hörte immer noch nicht auf. Es dauerte nicht lange, bis mir bewusst wurde, dass ich locker zehn Songs zusammenbekäme, also ein ganzes Album mit Eigenkompositio-nen – was mir noch nie gelungen war. (Meist waren es fünf oder sechs eigene Songs, der Rest Coverversionen.)
Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was da mit mir passierte. Es gab niemanden, der hinter mir stand und mich antrieb. Alles kam wirklich wie aus heiterem Himmel. Ich hatte das Gefühl, als wolle mir das Glück, das mich mein Leben lang geknutscht hat, noch einmal einen dicken Schmatz auf die Backe drücken. (Und glaubt mir: Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht morgens in dem Bewusstsein aufwache, was für ein Glückspilz ich bin.) Irgendwas klickte in meinem Kopf – und plötzlich hatte ich wieder Themen, über die ich schreiben konnte. Genau genommen: über die Erfahrungen eines ganzen Lebens. Es ist das Buch, das ihr gerade gelesen habt.
Die Aussicht, diese neuen Songs im Studio aufzunehmen und bis zur Veröffentlichung 2013 an ihnen feilen zu können, hat die alte Muse wachgeküsst. Die Arbeit an neuen Stücken war mit einem Mal wieder so normal und selbstverständlich wie Atmen. Es war wie eine Wiedergeburt – die Entdeckung einer Wurzel, die direkt zu meinen Anfängen zurückführte. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich seinerzeit einen derartigen Enthusiasmus verspürt habe – damals, Anfang der Siebziger, als sich der Junge mit der seltsamen Hahnenfrisur auf den Weg machte und nichts hatte als seinen Instinkt und eine große Klappe. Definitiv aber weiß ich, dass ich seit Gasoline Alley nicht mehr von einem Album so überzeugt war wie von diesem – als Songschreiber wie auch als Produzent.
Sicher, wenn das Album veröffentlicht wird, werden die Karten neu gemischt. Aber ob es nun ein Hit wird oder ein Rohrkrepierer, ist eigentlich überhaupt nicht entscheidend. Was für mich in jedem Fall bleibt, ist die Moral von dieser kleinen Geschichte: Selbst wenn man glaubt, alles gesagt zu haben, stellt sich manchmal heraus, dass es
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