Römer im Schatten der Geschichte
zählen auch die griechischen Liebes- und Abenteuerromane. Obwohl sie in einer imaginären Welt von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Treue und Verrat spielen, sind auch sie in der realen Welt verankert und lassen sich auf nützliche Beobachtungen und Belege überprüfen. Die Verwendung der römischen Komödie in sozialhistorischer Absicht stellt vor ähnliche Probleme und erfordert denselben Lösungsansatz wie die entsprechende Betrachtung der Erzählliteratur. Auch die Komödie musste in Form gängiger Stereotypen oder erkennbarer Motive, die der eigenen Gesellschaft entnommen waren, im Bekannten und Verständlichen wurzeln. So kann also auch die Welt des Theaters Bruchstücke aus dem Leben der Unsichtbaren – der Soldaten, Sklaven, Frauen und Durchschnittsmenschen – beisteuern. Kurz, die schöne Literatur bleibt für unseren Zweck eine vielversprechende, wenn auch nicht leicht zugängliche und sogar gefährliche Fundgrube.
Einige Werke der Elite zeichnen sich nicht unbedingt durch literarische Qualität aus, das heißt, sie sind nicht primär in künstlerischer Absicht entstanden. Gerade sie können zur Entdeckung der geistigen Welt der Unsichtbaren jedoch besondere Aspekte beitragen. In diese Kategorie fallen die Abhandlungen über Landwirtschaft, so die Schrift
Vom Ackerbau
des älteren Cato oder Columellas Lehrbuch
Über Landwirtschaft
. Diese Werke richteten sich an wohlhabende Großgrundbesitzer, nicht an Bauern oder Pächter, doch sie enthalten Angaben, die besonders für das Verständnis der Sklaven wichtig sind. Nützliche Traktate sind außerdem die umfangreichen Schriften des griechischen Mediziners Galen, die zum Teil auch sozialhistorisches Material einschließen. Bei Epiktet, selbst ein Freigelassener, finden sich in den Aufzeichnungen seiner Vorlesungen Spurenaus der Zeit seiner Versklavung. Auch Werke über die Voraussage und Beeinflussung der Zukunft durch Kunstfertigkeit und Magie sind hier zu nennen. Das
Traumbuch
des Artemidor von Daldis enthält ausführliche Traumdeutungen, die alle, wie er behauptet, auf tatsächlicher Erfahrung beruhen. Ähnlich Dorotheos von Sidon, ein etwas älterer Zeitgenosse Artemidors, der das
Carmen Astrologicum,
das »Astrologische Gedicht«, verfasste. Darin beschreibt er in aller Ausführlichkeit ein detailliertes astrologisches System und leitet daraus Horoskope für verschiedene Konstellationen der Himmelskörper ab. Und schließlich gibt es die magischen Papyri, die auf ihre Weise dazu dienten, Experten bei der Verwendung von allerlei Zauber und Gebeten anzuleiten, die diese ihrem zahlenden Publikum als Hilfe anboten. Die drei Werke der Orakelkunst waren auf die breite Bevölkerung ausgerichtet. Was nicht bedeuten soll, dass die Elite an Träumen, an Sterndeutung und Magie nicht interessiert gewesen sei – im Gegenteil. Ich gehe davon aus, dass das Publikum der Magier und Seher ein weites Spektrum der römisch-griechischen Welt ausmachte und alle einschloss, die den Wunsch hatten, sich gegen Entgelt an einen Fachkundigen für »psychische« Beratung oder magische Unterstützung zu wenden. Die Szenarien, Probleme, Neigungen und Affekte, die in diesen Texten ihren Ausdruck finden, sind darum ein Spiegelbild des Erlebens realer Menschen. Eine Untersuchung dieser Themen schafft unverstellten Zugang zur geistigen Welt der Unsichtbaren.
Römische Rechtstexte scheinen sich zunächst als Informationsquelle geradezu anzubieten. Sie tauchen in vielen Rechtsentscheidungen auf. Doch es zeigt sich, dass die Begegnung der Unsichtbaren mit dem römischen Recht nicht so fruchtbar ist wie angenommen. John Crook schreibt in
Law and Life of Rome
(S. 10):
Die römische Gesellschaft war im Wesentlichen eine Oligarchie. Enorme Unterschiede in Vermögen und sozialer Macht blieben über Generationen aufrechterhalten, und die Oberschicht, die ihre Rechtsgesetze bestimmte, bettete darin einen Kodex von Werten ein, die für sie selbst von Bedeutung waren, von denen man aber nicht ohne weiteres annehmen kann, dass sie für Leben und Gewohnheiten der breiten Bevölkerung dieselbe Relevanz besaßen. Außerdem hatte die intellektuelle Potenz, Subtilität und Gründlichkeitder großen römischen Juristen, die ihre erhaltenen Werke für spätere Epochen zu einem mit Recht bewunderten Rechtsparadigma werden ließ, ihren Preis: Sie wurde erkauft mit der Konzentration auf eine gewisse Gruppe von Gesetzen – von Belang vor allem für die Oligarchie, der sie selbst angehörten –, und
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