Römer im Schatten der Geschichte
anstrengen, sei es wirklich oder bloß dem Anschein nach, dann vernehme ich allerhand Stöhnen, und wenn sie den angehaltenen Atem wieder von sich geben, mancherlei Zischen unter schwerem Aufatmen. Gerate ich in die Nähe eines energielosen Menschen von der Sorte derjenigen, die sich auf die übliche Einsalberei beschränken, dann vernehme ich ein Klatschen der auf die Schultern aufprallenden Hände, das seine Tonart wechselt, je nachdem die Hand entweder flach oder hohl auffällt. Kommt nun noch ein Ballspieler hinzu, der seine Bälle zählt, dann gute Nacht! Dazu noch all das Gezänk, der Lärm bei Ergreifung eines Diebes und die Stimmproben der gesangessüchtigen Badenden. Dazu das tosende Aufspritzen des Wassers beim Sprunge der sich mit gewaltigem Schwung in das Bassin stürzenden Badenden. Neben allen diesen, die doch wenigstens mit unverstellter Stimme sich bemerklich machen, denke dir einen dienstbeflissenen Haarzupfer, der, um sich nach Möglichkeit bemerkbar zu machen, immer wieder seine dünne und schrille Stimme vernehmen läßt und seinen Mund nur dann hält, wenn er Haare ausrupft und einen anderen für sich schreien läßt. Dazu nimm nun noch das Stimmengewirr der Kuchenbäcker, der Wursthändler, der Süßigkeitskrämer und aller der im Dienste der Garküchen stehenden Krämer, die ihre Ware, ein jeder in seiner besonderen Tonart, feilbieten. [Außerhalb des Hauses höre ich noch] einen vorüberfahrenden Wagen, einen … in der Nachbarschaft arbeitenden Handwerker oder einen mit Sägen Beschäftigten oder den Mann, der an der Brunnensäule … seine Trompeten und Flöten probiert und es nicht auf Musik, sondern nur auf Reklame abgesehen hat. (
Epistulae morales
–
Briefe an Lucilius
56,1,2)
Dennoch: Die Bäder waren Ort sozialer Begegnungen für den gewöhnlichen Römer und auch für seine Familie. Kinder konnten die Eltern in die Bäder begleiten und besuchten zumindest einige. Ein römisches Epitaph erzählt eine traurige Geschichte:
Daphnus und Chryseis, Freigelassene des Laco, errichteten diesen Grabstein für ihren lieben Fortunatus. Er lebte 8 Jahre. Er verlor sein Leben im Becken der Bäder des Mars. (
CIL
VI 16740)
Ein Echo darauf ist vermutlich eine zweite Inschrift, die, eine traurige Fügung, vom Bildhauer selbst stammt:
Ich, ein höchst unglücklicher Vater, habe dieses für meinen Jungen gemeißelt, der, arme Seele, im Becken ertrank. Er lebte 3 Jahre und 6 Monate. (
CIL
IX 6318)
Es war zwar keineswegs die Regel, aber auch Frauen badeten gelegentlich zusammen mit den Männern. Eine berührende Grabinschrift ist von Pompeius Catussa überliefert:
Den Göttern der Unterwelt und zum immerwährenden Gedächtnis von Blandinia Martiola, dem reinsten Mädchen, das 18 Jahre, 9 Monate und 5 Tage lebte. Pompeius Catussa, sequanischer
[gallischer]
Bürger, ein Stuckateur, errichtete dieses Monument für eine unvergleichliche Ehefrau, die sehr liebreich zu mir war, die 5 Jahre, 6 Monate und 18 Tage ohne jeden niedrigen Vorwurf mit mir lebte, und zu meinen Lebzeiten für sich selbst. Du, der du dieses liest, gehe zu den Bädern des Apollo, um zu baden, wie ich es mit meiner Frau getan habe. Wie sehr wünsche ich, dass ich es immer noch könnte! (
CIL
XIII 1983 =
ILS
8158)
Wenn der gewöhnliche Römer sein Haus oder ein Vereinstreffen oder die Thermen verließ und die Straße betrat, erwartete ihn eine geschäftige, laute Welt. Wie jeder andere in der Gesellschaft verbrachte er einen guten Teil seines Lebens außer Haus. Was er brauchte, vor allem Proviant, fand er in den Ständen oder auf Matten ausgebreitet, die nicht nur an den wenigen freien Plätzen, sondern entlang jeder Straße zu finden waren und die relativ wenigen Geschäfte ergänzten, in denen Waren verkauft wurden. Auf seinem Schlängelkurs durch die Menge machten sich Bettler an ihn heran, spielten oder sangen für ein paar Münzen Straßenmusiker, suchten Lehrer im lauten Stimmengewirr die Aufmerksamkeit ihrer Schüler festzuhalten, gingen Straßenphilosophen, Wahrsager, Zauberer und Passanten aller Art ihrem Handwerk nach:
Die beste und nützlichste Art der Zurückgezogenheit ist daher wohl, sich auf sich selbst zurückzuziehen und auf seine eigenen Angelegenheiten zu achten, … Man kann es auch an den Menschen sehen, die sich im lautesten Lärm und im dichtesten Gedränge von ihrer Beschäftigung nicht abbringen lassen. Der Flötenspieler oder -lehrer, der oft unmittelbar an der Straße
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