Römer im Schatten der Geschichte
unterrichtet, geht seiner Beschäftigung nach, und nichts bringt ihn draus, weder das Getümmel um ihn her noch der Lärm der Vorübergehenden.Auch der Tänzer oder Tanzlehrer ist ganz bei der Sache, ohne auf die streitende, feilschende und dies und jenes treibende Menge zu achten, genauso auch der Zitherspieler und der Maler. Und das Erstaunlichste: Selbst die Lehrer sitzen mit ihren Kindern am Rand der Straße, und nichts kann sie hindern, inmitten der großen Menschenmenge zu lehren und zu lernen. Ich selbst habe schon gesehen, wenn ich durch die Rennbahn ging, wie an ein und demselben Ort viele Menschen ihren verschiedenen Beschäftigungen nachgingen: der eine spielte Flöte, der andere tanzte, der dritte zeigte Zauberstücke, der vierte las eine Dichtung vor, während ein anderer sang und wieder ein anderer eine Geschichte oder ein Märchen erzählte. Und keiner von ihnen störte den andern oder hielt ihn von seinem Vorhaben ab. (Dion Chrysostomos,
Orationes
–
Sämtliche Reden
20,8 – 10)
Die Geselligkeit in Straßen und Gassen war von vitaler Bedeutung. Zum öffentlichen Leben gehörte ferner das Gasthaus. Auch wer Geschäften nachging oder wer nur selten Arbeit und dafür Zeit in Hülle und Fülle hatte, was viele betraf, war täglich in der örtlichen Schenke zu Gast. Eine Skizze mag genügen: Wandmalereien in der »Taverne der Sieben Weisen« in Ostia illustrieren den Humor der Männer, die solche Orte aufsuchten. Die Taverne war eine ganz gewöhnliche Kneipe, die keinerlei Anspruch auf architektonischen oder sonstigen Glanz erhob. Die Sieben Weisen Griechenlands waren die Lieblinge der Elite und ihre Darstellung in Form von Büsten, Zitaten und anderem gehörten zur Ausstattung ihrer Villen. Die Ratschläge der Sieben Weisen in den Malereien der Taverne aber sind obszöner Art: Die Männer verrichten ihr Bedürfnis, eine Szene in derber Bildsprache. Neben Geburt und Vermögen war Bildung eines der Merkmale der Elite. Bildung stand zwar auch dem einfachen Mann offen – und die Sprüche der Sieben Weisen hatten den Weg bis hinunter in die Populärphilosophie gefunden –, dennoch kam Spott auf »hochgestochenes« Gelehrtentum dem Augenschein nach gut an. Im Gewölbe der Taverne sind teure Weine dargestellt. Hier ist offenbar demonstrativer Reichtum die Zielscheibe des Humors. Hohe Geburt wird nicht zum Gegenstand des Gespötts, stand aber mit den beiden anderen Kennzeichen der Elite in engster Verbindung. Man erinnert sich der Fabel vom Kampf der Mäuse und der Wiesel. Illustrationen dieser Fabel waren, wie Phaedrus berichtet, eine beliebte Dekoration in Wirtshäusern. Erzähltwird darin, dass Mäuse und Wiesel beständig miteinander im Kampf lagen, woraus immer die Wiesel als Sieger hervorgingen. Die Mäuse kamen überein, dass nur eine Führung durch die Elite die Lösung sein könne, und sie bestimmten die Stärksten, Klügsten und Tapfersten und diejenigen aus edlem Blut dazu, die Macht zu übernehmen und die Mäusearmee zu trainieren. Sobald die neue Elite ihre Armee nach bestem Wissen und Können reorganisiert und ausgebildet hatte, erklärten die Mäuse den Wieseln den Krieg. Die Generäle der Mäuse banden Stroh an ihre Köpfe, um sich vom gemeinen Haufen abzuheben. Schon unmittelbar nach Beginn der Kämpfe wandte sich das Kriegsglück gegen die Mäuse, die aus dem Glied brachen und en masse in den Schutz ihrer unterirdischen Behausungen flohen. Unglücklicherweise erwiesen sich die hohen »Strohfedern« als Hindernis für die Anführer, die darum nicht in ihren Löchern verschwinden konnten und bis auf die letzte Maus von den Wieseln gefangen und aufgefressen wurden (Babrios,
Mythiambi Aesopei
–
Äsopische Fabeln
31; Phaedrus,
Fabulae Aesopiae
–
Äsopische Fabeln
4,6). Der Inhalt dieser Fabel, der den Betrachtern sicherlich bekannt war, lieferte den Dünkel, um nicht zu sagen die Dummheit und Nutzlosigkeit der Hochgeborenen dem Spott aus.
In den Wirtshäusern und Bars ging es lebhaft zu. Es gab nicht nur Speise und Trank, häufig standen auch Frauen zur Verfügung. Im Inneren oder vor dem Haus rollten die Würfel; Unterhaltungen mit Nachbarn und Fremden über lokale Ereignisse und Politik sowie Klatsch ergänzten das allgemeine Stimmengewirr. Dank diesen persönlichen Kontakten blieb der Einzelne mit der Gemeinschaft in Verbindung und war auf dem Laufenden über Situationen und Ereignisse, die ihn betreffen konnten.
Auch die Straße war ein Ort des Lernens und der Nutzung des
Weitere Kostenlose Bücher