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Römer im Schatten der Geschichte

Römer im Schatten der Geschichte

Titel: Römer im Schatten der Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Knapp
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erbaut’ im Frühling einst ihr Nest an einer Wand / des Hauses, wo die alten Männer sitzen zu Gericht. / Von sieben Jungen wird sie Mutter dort; / noch fehlen ihnen purpurrote Schwingen. / Die fraß die Schlange alle reihum auf, als sie / aus ihrem Loch kam angekrochen. Die unglücksel’ge Mutter / beklagt den frühen Tod der Jungen. / »O weh«, spricht sie, »o weh mir Armen! / Dort, wo Gesetz und Recht der Menschen herrschen, / muß ich, die Schwalbe, der man Unrecht tat, entfliehn.« (Babrios,
Äsopische Fabeln
118)
     
    Gerechtigkeit zu erreichen liegt also nicht im Belieben der Menschen. Ihre Durchsetzung bleibt den Göttern überlassen, wie es in Redensarten zum Ausdruck kommt: »Das Göttliche bringt das Böse vor den Richter.« Die Menschen haben im Grunde nur beschränkten Zugang zu ihr, und gesichert ist der Zugang keinesfalls. Das Gesetz wird meist nur erwähnt, um seine Unvereinbarkeit mit der Gerechtigkeit zu betonen. Zur Volksmoral gehört der Glaube an die Gerechtigkeit, nicht aber an das Gesetz als den Weg, sie zu erlangen. Dies nicht ohne Grund. In den Gesetzestexten fehlt praktisch jeder Bezug auf die Armen. In einer Entscheidung mögen die Rechte der Fischer festgehalten sein, und es finden sich allgemeine Aussagen daüber, dass die Mächtigen keine Sonderbehandlung erfahren, aber die Armen sind ganz offenkundig nur sehr selten in Rechtsfälle verwickelt – zum Beispiel gibt es keine Erläuterungen zur Lohnarbeit. Im Gesetz finden die sehr Armen schlichtweg kaum Beachtung. Wenn sie einmal in einen Rechtshandel involviert waren, konnten sie damit rechnen, den Kürzeren zu ziehen, wie es der Rat Jesu in aller Deutlichkeit zu verstehen gibt:
     
    So du aber mit deinem Widersacher vor den Fürsten gehst, so tu Fleiß auf dem Wege, daß du ihn los werdest, auf daß er nicht etwa dich vor den Richter ziehe, und der Richter überantworte dich dem Stockmeister, und derStockmeister werfe dich ins Gefängnis. Ich sage dir: Du wirst von dannen nicht herauskommen, bis du den allerletzten Heller bezahlest. (Lukas 12,58 f.)
     
    Angesichts der Tatsache, dass weder das Rechtssystem noch die Rechtspflege der Mächtigen zu ihrem Schutz taugen, müssen die Armen zu informellen Mitteln der Konfliktlösung greifen oder klein beigeben.
    Für den Alltagsgebrauch jedoch halten Sprichwörter und Fabeln Strategien für den Umgang mit den Mächtigeren bereit. Sie unterstreichen die Vergeblichkeit aller Versuche, die Reichen schachmatt zu setzen. Tu, was du willst, gefressen wirst du doch, wie »Der Wolf und das Lamm« zu bedenken gibt:
     
    Der Wolf, der’s Lamm, das von der Herde sich verirrt, / erblickte, wollte diesmal ohn Gewalt es packen / und suchte drum für seine Klage einen guten Vorwand: / »Du hast beschimpft mich vor’ges Jahr, als du noch klein warst!« / »Wie sollt ich das im vor’gen Jahr, da dieses Jahr ich erst zur Welt kam?« / »Und hast du nicht den Acker abgeweidet, der doch mir gehört?« / »Kein Stenglein Gras hab ich gegessen, und zur Weide kam ich nicht.« / »Und hast du aus der Quelle nicht getrunken, wo ich trinke?« / »Allein der Mutter Euter ist’s, das mich berauscht.« / Da packt der Wolf das Lamm und frißt es auf. / »Von dir läßt sich der Wolf die Mahlzeit nicht verderben, / auch wenn du jede Klage mir geschickt bestrittest.« (Babrios,
Äsopische Fabeln
89)
     
    Als gute Verteidigung gegen die Mächtigen bot sich an, Konfrontationen wo immer möglich zu vermeiden wie in »Die Eiche und das Schilfrohr«. Die Eiche, vom Sturm entwurzelt, fällt in den schäumenden Fluss und sieht mit Staunen, wie das schmächtige, zerbrechliche Schilfrohr Sturm und Wogen standhält:
     
    Da sagte klug das Rohr: »Du brauchst dich nicht zu wundern! / Weil du dem Sturme trotztest, wurdest du besiegt; / wir aber beugen uns in kluger Einsicht, / sobald ein Windstoß unsre Spitzen zart bewegt.« (Babrios,
Äsopische Fabeln
36)
     
    Auch Schläue allerdings hilft. Zahlreiche Fabeln betonen, dass eine kluge Analyse und angemessene Reaktion auf Gegebenheiten sich bezahltmacht, so auch »Der Fuchs vor der Höhle des Löwen«. Der hochbetagte Löwe ist zu schwach, um noch auf die Jagd zu gehen. Er legt sich, scheinbar krank, zu Bett. Die Tiere nehmen Anteil, besuchen ihn einzeln und treten an sein Bett, so dass er sie mühelos packen und fressen kann:
     
    Da kam dem schlauen Fuchs Verdacht, / und draußen bleibend, fragte er: »Wie geht dir’s, König?« / Erwidert jener: »Sei gegrüßt, mein

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