Römer im Schatten der Geschichte
und literarischen Mentor wurde. Sachbücher, die zumindest vorgeblich von Sklaven über Sklaven verfasst sind, fehlen jedoch, und es gibt nur ein einziges literarisches Werk:
Das Leben Äsops
, verfasst von einem unbekannten Autor. Es gibt Literatur, die auf brillante Art »Sklavenerfahrungen« in den Mittelpunkt stellt: Petrons
Satyrica
, Apuleius’
Der goldene Esel,
verschiedene antike Liebesromane sowie
Die entlaufenen Sklaven
und einige andere Erzählungen Lukians sind zu verschiedener Zeit und auf verschiedene Art aus der Perspektive eines Sklaven erzählt. Die
Satyrica
und
Der goldenen Esel
sind von Angehörigen der Oberschicht verfasst – Petron gehörte zum kaiserlichen Hof und Apuleius zur Elite der Provinz. Der Hintergrund der Verfasser der Liebesromane ist unbekannt.
Das Leben Äsops
scheint angesichts der Einfachheitvon Sprache und Stil von einem gewöhnlichen Römer zu stammen, während Lukian in einer Handwerkerfamilie aufwuchs und so das Leben gewöhnlicher Leute aus eigener Anschauung kannte.
Sklaven werden natürlich von Historikern und in anderen literarischen und juristischen Quellen erwähnt, Texten, die traditionell allen Diskussionen über die antike Sklaverei zugrunde liegen. Meine Absicht ist es jedoch, die geistige Welt der Sklaven ohne die kulturellen Vorurteile und Entstellungen zu erkunden, die sich unvermeidlich einstellen, wenn die Eliten das Thema Sklaven und Sklaverei behandeln. Natürlich lässt sich völlig zu Recht einwenden, dass diese Standardquellen benutzt werden können, wenn man sich bemüht, ihren sozialen Blickwinkel in Rechnung zu stellen; ebendies haben viele Wissenschaftler auch getan. Ich möchte sie jedoch beiseite lassen, um das Bild ins Licht zu rücken, das ohne ihren Beitrag entstehen kann. Es ist ein Stück weit ein Experiment, aber ich bin überzeugt, dass ohne ihre Stimme ein unmittelbarerer Zugang zur Geisteswelt der Sklaven möglich wird. Ich benutze zwar einige Texte von Autoren der Oberschicht wie Agrarschriften oder die Romane von Petron und Apuleius, die sich bemühen, die Welt der Sklaven in den Blick zu nehmen, aber die Standardhistoriker, -biographen und -verfasser von Briefen aus der Oberschicht kommen in meiner Darstellung nur vereinzelt vor.
Angesichts der Rolle von Sklaven im frühen Christentum und in frühchristlichen Gemeinschaften könnte man hoffen, ihre Stimmen in der christlichen Literatur zu finden. In den Evangelien gibt es unzweideutige Beispiele aktiver Sklaverei neben einem gewissen Verständnis für die Haltung der Sklaven. Doch in den Briefen des Neuen Testaments scheint nur der erste Petrusbrief über die Sklaven aus der Sicht eines Sklaven zu sprechen, trotz aller Rhetorik über die Sklaven als einen wichtigen Teil der christlichen Gemeinde, und wenn der Autor ein Sklave war, hat er das gut kaschiert. Auch die spätere christliche Literatur ist keine Hilfe. So ist also in der heidnischen wie in der christlichen Literatur die Stimme des Sklaven schwer zu finden.
Sieht man sich weiter um, dann zeigen die vielen Verweise auf Probleme, die für Sklaven von Bedeutung waren – besonders Sexualität und Flucht betreffend –, dass die Traumdeutung und atsrologische Werke direkt auf die Sklaven und ihre Anliegen reagierten. Auch die Fabel wurde in der Antike und wird heute mit Recht als Textsorte betrachtet,die in vielen Fällen unverfälschte Einstellungen und Strategien von Sklaven ausdrückt. Diesen Befund vor Augen, ist es rätselhaft, warum andere Gattungen der Volksliteratur das Leben der Sklaven weitgehend ausblenden. In Sprichwörtern und Sentenzen kommt die Sklaverei so gut wie nicht vor. Es bleibt befremdlich, dass Fabeln die Situation der Sklaven offenbar wachrufen, Sprichwörter und andere Volksliteratur dagegen nicht.
Außerhalb der Literatur haben Sklaven die eigene Stimme natürlich auf ihren Gräbern als – meist sehr kurze – Grabinschriften hinterlassen. Diese Grabsteine kann man sich leichter als echte Stimmen von Sklaven vorstellen, und sie geben wertvollen Einblick in das Sklavendasein. Ich nutze sie extensiv. Weitere archäologische Zeugnisse der Sklaverei sind kaum vorhanden, und das, was vorliegt, lässt sich nur schwer auf die geistige Welt der Sklaven beziehen. Die materielle Kultur trägt also nur wenig zu unserem Thema bei. Die Papyri allerdings sind eine nützliche Quelle für neue Erkenntnisse über Sklaven, denn sie sind sowohl demographisch als auch vom Text her aufschlussreich und bieten Belege, die
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