Römischer Lorbeer
Marcus Caelius verfolgte, wurde dieses
Gefühl sogar noch stärker.
Catull hatte seinen
Standort nicht verlassen. »Du hast Caelius’
Höhepunkt verpaßt!« sagte er. »Er spritzte
in die kleine Pyxis, damit jeder es sehen konnte. Nein, das war
bloß ein Witz! Aber es war trotzdem ein atemberaubender
Höhepunkt. Eins muß man Caelius lassen, er bemüht
sich stets, nicht nur sich selbst, sondern auch alle anderen
Beteiligten zu befriedigen. Kein Richter oder Zuschauer mußte
unbefriedigt vor Nolas Mauern
schmachten.«
Ich starrte ihn leeren
Blickes an, ohne zu begreifen, was er sagte. Er redete unbeirrt
weiter. »Außerdem hast du Crassus’ gesamte Rede
verpaßt. Aber das ist, ehrlich gesagt, nicht weiter tragisch.
Bei Crassus hatte bestimmt niemand einen Höhepunkt! Offenbar
hat er versucht, Caelius zu entlasten, was all die Morde auf dem
Weg von Neapolis nach Rom angeht, aber wenn du mich fragst, Crassus
hat nie gelernt, eine anständige Rede zu halten.
Schwerfällig und zäh! Worte, Worte, Worte und keine
einzige erinnerungswürdige geistreiche Wendung. Er sollte sich
an das halten, wovon er etwas versteht, nämlich haufenweise
Geld zu scheffeln und die Richter schnöde zu bestechen,
anstatt sie mit schlechter Rhetorik zu Tode zu langweilen. Bei ihm
hat Caelius mindestens so schuldig ausgesehen, wie er nach seiner
eigenen Rede unschuldig gewirkt hat. Jetzt hängt alles an
Cicero. »Wer ist denn das?«
»Mein
Sohn«, erwiderte ich abwesend und stellte Eco vor.
»Nun, gut,
daß ihr beide zu der eigentlichen Rede wieder zurück
seid. Kommt, wir versuchen uns ein bißchen weiter nach vorne
zu drängeln…«
Wir kamen sogar ein
gehöriges Stück weiter nach vorn, so daß ich die
Gestalt, die in diesem Moment vor die Richter trat, recht gut
erkennen konnte. Als ich ihn vor vielen Jahren kennengelernt hatte,
war Cicero schlank und zerbrechlich gewesen, aber mit dem Erfolg
war er ziemlich feist geworden. Doch dem politischen Triumph seines
Konsulats war der Beinahe-Ruin gefolgt, als es seinen Feinden
gelungen war, ihn in die Verbannung zu treiben. Ciceros
Verbündete brachten schließlich Gesetze durch, die diese
Verbannung wieder aufhoben, doch in der Zwischenzeit hatte der
große Mann eineinhalb Jahre im Exil verbracht, und ein
Großteil seines Besitzes war vom Pöbel zerstört
worden. Während seiner Abwesenheit von Rom sei Cicero hager
vor Sorge geworden, hieß es. Doch aus der Art, wie die Toga
an seinem Körper haftete, während er sich vor den
Richtern aufbaute, schloß ich, daß er mit der
Wiederherstellung von Statur und Umfang schnell vorangekommen
war.
Einst war Clodius
Ciceros politischer Verbündeter gewesen, später seine
Nemesis. Selbst jetzt noch versuchte er Cicero daran zu hindern,
sein zerstörtes Haus auf dem Palatin wieder aufzubauen, weil
das Grundstück angeblich vom Staat beschlagnahmt und einer
religiösen Nutzung zugeeignet worden war, weshalb Cicero den
Besitz nicht zurückbekommen könnte. Die beiden Rivalen
fochten ihren Krieg auf jeder sich anbietenden Bühne aus - im
Senat, vor Gericht und bei der Deutung priesterlicher und
augurialer Omen. Zwischen ihnen loderte die Art von Haß, die
nur der Tod löschen kann.
Das allein war
für Cicero schon Grund genug, Clodia zu hassen, da sie die
getreueste Anhängerin ihres Bruders und Mitwisserin seiner
Intrigen war. Doch was war mit jenem vagen Gerücht über
eine kümmerliche Affäre der beiden, als Cicero und Clodius
noch Verbündete gewesen waren? Vielleicht haßte er
Clodia aus Gründen, die gar nichts mit Politik oder Clodius zu
tun hatten. Das wäre zumindest eine Erklärung für
seinen Auftritt an jenem Tag. Vielleicht war er aber auch einfach
nur ein guter Anwalt, der genau das tat, was notwendig war, um
sicherzugehen, daß Marcus Caelius freigesprochen
wurde.
Als ich zusah, wie
Cicero die letzte Rede dieses Prozesses hielt - eine der besten
seiner Karriere, wie manche später meinten -, hatte ich das
Gefühl, einem Schauspiel beizuwohnen. Wie bei einem Schauspiel
schien die Handlung weit entfernt, der Dialog jenseits meiner
Kontrolle; ich war lediglich ein ohnmächtiger Zuschauer, der
den Lauf der Dinge weder aufhalten noch ändern konnte. Doch
ein Stückeschreiber bemüht sich wenigstens darum, ein
kleines Stück Wahrheit zum Tragen zu bringen - sei sie profan,
komisch, grandios oder tragisch. Aber wo war die Wahrheit in diesem
seltsamen Stück? Wer war der Schurke und wer der tragische
Held? Ich hatte das Gefühl,
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