Römischer Lorbeer
Körper und kaute an den
Fingernägeln. Ich stand zitternd, nackt und frierend in der
anderen Ecke des Zimmers, so weit von ihm entfernt, wie ich nur
konnte. Dann drehte er sich auf die Seite und kotzte auf den Boden.
Es war schrecklich. Er schloß die Augen und fing an zu
keuchen und nach Luft zu ringen. Dann war er still. Nach einer
Weile trat ich ans Bett und rüttelte an seiner Schulter, aber
er wachte nicht auf. Ich saß bloß da, auf seinem Bett,
und starrte ihn lange an, voller Angst, mich zu rühren. Dann
war es vorbei.«
»Was meinst du
mit ›vorbei‹?«
Sie sah mich zum
ersten Mal direkt an. »Er starb. Ich habe gesehen, wie er
gestorben ist.«
»Wie konntest du
dir dessen so sicher sein?«
»Sein ganzer
Körper fing auf einmal heftig an zu zittern. Er riß
Augen und Mund auf, als wollte er schreien, doch außer einem
grauenhaften Rasseln drang kein Laut aus seiner Kehle. Ich sprang
vom Bett auf und drückte mich an die Wand. Er schien
plötzlich zu Stein erstarrt, Augen und Mund weit aufgerissen.
Nach einer Weile ging ich zu ihm und legte mein Ohr auf seine
Brust. Ich hörte keinen Herzschlag. Wenn du seine Augen
gesehen hättest - jeder hätte gewußt, daß es
die Augen eines Toten waren.«
»Aber die
Stichwunden«, sagte ich. »Das aufgebrochene Fenster und
das verwüstete Zimmer -«
»Laß sie
zu Ende erzählen, Papa.« Eco nickte dem Mädchen
zu.
»Ich wußte
nicht, was ich machen sollte.« Ihr Kinn zitterte, und
Tränen liefen über ihre Wangen. »Ich konnte nur
denken, daß mein Herr mir die Schuld geben und mich bestrafen
würde. Er würde glauben, daß ich den alten Mann
umgebracht hätte. Also wischte ich das Erbrochene auf - mit
meinem Kleid, mit dem ich auch schon Dios Gesicht abgewischt hatte.
Dann habe ich mich aus dem Zimmer geschlichen.«
»Und der
Türsklave, Philo, hat dich in der Halle gesehen. Er dachte,
Dio wäre früher als sonst mit dir fertig gewesen. Doch
Dio war schon tot. Hast du es deinem Herrn
erzählt?«
Sie zitterte und
schüttelte den Kopf.
»Aber warum
nicht?«
»Ich habe die
ganze Nacht auf meinem Lager wach gelegen und darüber
nachgedacht, was geschehen war. Der Herr würde glauben, ich
hätte den alten Mann vergiftet. Aber das hatte ich nicht! Aber
der Herr würde es glauben, und was würde er dann mit mir
machen? Ich weinte und weinte, bis die anderen Sklaven zischten,
ich solle ruhig sein, damit sie schlafen könnten. Aber wie
sollte ich schlafen? Auf einmal hörte ich aus dem Zimmer des
alten Mannes ein schreckliches Getöse. Das ganze Haus wurde
geweckt. Man hatte sein Zimmer aufgebrochen und ihn gefunden. Jetzt
kommen sie, um mich zu holen, dachte ich. Sie töten mich
gleich hier an Ort und Stelle! Mein Herz klopfte so heftig in
meiner Brust, daß ich glaubte, ich müßte
sterben.«
Sie schluchzte einmal
laut auf, bevor sich ihre Lippen zu einem schiefen Lächeln
verzogen. »Aber etwas Erstaunliches war geschehen. Sie gaben
nicht mir die Schuld. Sie glaubten, der alte Mann wäre
erstochen worden. Irgendjemand war in sein Zimmer eingedrungen,
nachdem ich ihn verlassen hatte, und hatte mit Dolchen auf ihn
eingestochen. Ich wußte nicht, was ich davon
halten sollte. Aber der Herr gab mir nicht die Schuld, also habe
ich keinem erzählt, was passiert war. Nachdem der alte Mann
tot war, dachte ich, alles würde wieder so werden wie
vorher.« Ihr Lächeln erstarb. »Doch statt dessen
wurde alles anders. Der Herr hat mich verkauft. Alles wurde immer
schlimmer…«
»Jetzt bist du
in Sicherheit«, sagte Eco leise.
Das Mädchen sank
an der Mauer in sich zusammen und schloß die Augen.
»Bitte, zwingt mich nicht, weiter zu reden. Wenn ich nur
schlafen könnte …«
»Schluß
mit dem Reden«, versprach Eco ihr. »Warte hier. Einer
der Sklaven wird dir deinen Schlafplatz zeigen.«
Wir ließen sie,
weinend und leise vor sich hin murmelnd, allein, ihr Gesicht an die
Wand gepreßt, als wollte sie so mit dem Mauerwerk
verschmelzen.
Ich folgte Eco in den
Garten. »Was hat das zu bedeuten?«
»Es bedeutet,
daß Dio vergiftet wurde, Papa.«
»Aber die
Stichwunden -«
»Er wurde
erstochen, nachdem er schon tot war. Du hast doch selbst gesagt,
daß er für die Vielzahl seiner Wunden nur sehr wenig
geblutet hat, daß alle Einstiche dicht beieinander lagen und
daß es keine Anzeichen dafür gab, daß er sich
gewehrt hat. Weil er schon tot war.«
»Aber
irgendjemand ist in jener Nacht in sein Zimmer eingedrungen und hat
es verwüstet. Und irgend jemand hat
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