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Römischer Lorbeer

Römischer Lorbeer

Titel: Römischer Lorbeer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Saylor
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verschwunden. (Die wenigen noch in Rom Verbliebenen haben, so
hört man, entweder König Ptolemaios die Treue geschworen
oder sind für ihr Schweigen bestochen worden; einige von ihnen
waren mit Sicherheit von Anfang an Spione des Königs.) Das
römische Volk sollte sich schämen, daß eine solche
Abscheulichkeit hier im Herzen der Stadt geschehen konnte.
Gewiß, es gibt Stimmen, die sagen, daß die Ermordung
Dios so empörend sei, daß der Senat gar nicht anders
könne, als Maßnahmen zur Bestrafung der Mörder zu
ergreifen (wenn schon nicht gegen König Ptolemaios selbst,
dann doch zumindest gegen seine Lakaien). Vielleicht entscheidet
sich der Senat sogar, dem König die Anerkennung zu entziehen
und statt dessen Königin Berenice zu akzeptieren, was das Ziel
von Dios Mission war. Als er noch lebte, wollte man ihm nicht
einmal erlauben, offiziell vor dem Senat zu sprechen, aber
vielleicht hat er im Tod erreicht, was er sich wünschte: ein
Ägypten mit einer neuen, unabhängigen
Herrscherin.
    Kann aus einer
Tragödie wie Dios Ermordung Gerechtigkeit erwachsen? Wenn ich
mir die römischen Gerichte und die Personen betrachte, deren
Interessen auf dem Spiel stehen, hege ich daran
starke Zweifel. Aber ich versuche, nicht zu lange darüber zu
grübeln. Hätte ich Dios Auftrag angenommen, seine Feinde
zu entlarven, würde ich mich möglicherweise verpflichtet
fühlen, die Sache zu verfolgen und die Mörder ihrer
gerechten Strafe zuzuführen. Zum Glück habe ich seinen
Auftrag ausdrücklich zurückgewiesen. Ich habe ihm gesagt,
daß ich ihm nicht helfen könnte und ihm gute Gründe
dafür genannt. Mein Gewissen ist rein. Die Klinge zu finden,
die Dios Leben ein Ende setzte, und die Hand zu bestrafen, die sie
geführt hat, obliegt nicht mir.
    Was immer weiter
geschehen mag, es betrifft mich nicht, und darüber bin ich
froh.
    Wenn ich den Brief
heute wieder lese, erkenne ich, daß meine Angaben über
die Umstände von Dios Tod von zahlreichen, zum Teil
gravierenden Irrtümern gezeichnet sind. Doch in nichts habe
ich mich so sehr geirrt wie in diesem letzten Satz, dem ich heute
mit Unverständnis begegne. Wie konnte ich so unbekümmert,
ahnungslos und selbstzufrieden sein? Wir tappen wie Blinde durch
eine uns unbekannte Welt. Vergangenheit und Zukunft liegen
gleichermaßen im Dunkel, und das helle Tageslicht kann ebenso
viele Gefahren bergen wie die Gefilde der Nacht.

 
    ZWEITER
TEIL
    ____________________
    NOXIA

8
    Fast ein Monat
verging, bevor ich erneut Gelegenheit hatte, an Meto zu
schreiben. 
    An meinen geliebten
Sohn Meto, in militärischen Diensten unter dem Oberbefehl von
Gaius Julius Caesar in Gallien, von seinem Vater in Rom, möge
Fortuna mit dir sein.
    Ich schreibe diesen
Brief am 29. Tag des Martius, ein ungewöhnlich warmer Tag
für den noch jungen Frühling -wir haben alle Fenster
aufgerissen, und die Nachmittagssonne brennt heiß auf meine
Schultern. Ich wünschte, du könntest hier bei mir
sein.
    Doch das bist du
leider nicht. Genausowenig wie ich dich sicher in Illyrien
weiß, wo ich dich zuletzt getroffen habe. Auf dem Forum habe
ich gehört, daß du kurz nach meinem Besuch
plötzlich nach Gallien verlegt worden bist. Man sagt, Caesar
wolle den Aufstand eines Stammes mit einem schier unaussprechlichen
Namen niederschlagen -ich werde nicht einmal versuchen, ihn zu
buchstabieren. Ich nehme an, du bist mit ihm gezogen. Gib acht auf
dich, Meto.
    In Anbetracht der
Truppenbewegungen weiß ich nicht, ob dich mein Brief von vor
einem Monat erreicht hat oder vielleicht erst nach diesem Brief
eintreffen wird, wenn er überhaupt ankommt; doch da einer von
Caesars Boten (ein junger Soldat, der schon früher Briefe von
mir an dich transportiert hat) im Begriff steht, nach Gallien
aufzubrechen, und sagt, daß er meinen Brief mitnehmen will,
wenn ich binnen einer Stunde damit fertig werde, schreibe ich sehr
schnell und werde dir einfach alle Neuigkeiten mitteilen, die mir
einfallen, selbst auf die Gefahr hin, dir von Ereignissen zu
berichten, die ohne den rechten Zusammenhang keinen Sinn ergeben.
(Zeige diesen Brief bitte nicht deinem Feldherrn. Ich fürchte,
ein Mann, der seine Memoiren zu Pferde diktiert, würde Eile
kaum als Entschuldigungsgrund für derart verworrene Sätze
gelten lassen.)
    Hoffentlich hast du
meinen letzten Brief erhalten und bist über den Mord an Dio
informiert. Darin habe ich über jene gespottet, die meinten,
die Ermordung Dios sei zu gravierend, um ohne Konsequenzen zu
bleiben,

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