Römischer Lorbeer
Die Schritte blieben stehen. Ich blickte angestrengt
in die Dunkelheit und konnte die Umrisse des Mannes vage ausmachen,
eine Silhouette zwischen Schatten und Halbschatten. Seiner Haltung
nach zu urteilen, schien er meinen Blick zu erwidern, offenbar
versuchte er zu erkennen, woher das Niesen gekommen war. Im
nächsten Moment war er verschwunden, und ich hörte
Schritte die Rampe hinunterlaufen.
Belbo fuhr zusammen.
»Sollen wir ihm nachsetzen, Herr?«
»Nein. Er ist
viel jünger als wir - und wahrscheinlich sehr viel
schneller.«
»Woher
weißt du das?«
»Hast du ihn
schwer atmen gehört?«
»Nein.«
»Eben. Ich
nämlich auch nicht, und er war so nahe, daß wir es
hätten hören müssen, wenn er außer Puste
gewesen wäre. Er hat eine kräftige
Lunge.«
Belbo ließ
bekümmert den Kopf hängen. »Tut mir leid, daß
ich geniest habe, Herr.«
»Es gibt Dinge,
die können nicht einmal die Götter aufhalten. Vielleicht
war es besser so.«
»Glaubst du
wirklich, daß er uns gefolgt
ist?«
»Ich weiß
nicht. Aber er hat uns einen ganz schönen Schrecken eingejagt,
was?«
»Und wir haben
ihm einen Schrecken eingejagt!«
»Dann sind wir
quitt, und vielleicht ist das das Ende der Geschichte«, sagte
ich, ohne wirklich daran zu glauben.
Eilig gingen wir die
Straße hinunter bis zu meinem Haus. Belbo klopfte an die
Tür. Während wir warteten, daß einer der Sklaven
öffnete, zog ich ihn beiseite. »Belbo, egal, ob wir nun
verfolgt worden sind oder nicht - kein Wort zu deiner Herrin. Wir
müssen den Ärger ja nicht herausfordern. Hast du mich
verstanden?«
»Natürlich,
Herr«, sagte er ernst.
Ich überlegte
kurz. »Erzähl es auch Diana nicht.«
»Das versteht
sich von selbst, Herr.« Belbo lächelte, bevor sein
Kiefer auf einmal zu beben begann und seine Gesichtszüge sich
verzerrten. Alarmiert packte ich seine Schulter.
Belbo warf den Kopf in
den Nacken und nieste erneut.
12
Am nächsten
Morgen stand ich früh auf, nahm ein einfaches
Frühstück aus Brot und Honig zu mir, bevor ich mir von
Belbo den Bart stutzen ließ. (Er ist der einzige Mensch, den
ich mit einem scharfen Gegenstand in die Nähe meines Halses
lasse.) Da ich vorhatte, verschiedenen Leuten einen förmlichen
Besuch abzustatten, legte ich meine gute Toga an und verließ
das Haus. Die frische, taugeschwängerte Luft war
beißend, doch die Kälte der Nacht wurde von der warmen
Morgensonne gemildert. Ich atmete tief ein und ging, von Belbo
begleitet, die Straße hinunter.
An jenem Morgen kam
mir der Palatin besonders anmutig vor. Jedesmal, wenn ich in
jüngster Zeit die unmittelbare Nachbarschaft meines Hauses
verlassen hatte, war mir aufgefallen, wie dreckig und schmuddelig
weite Teile Roms mittlerweile waren, vor allem die Subura mit ihren
Bordellen, Tavernen und stinkenden Seitenstraßen und das
Forum mit seinen togagewandeten Horden von Politikern und
Finanzleuten, die ihren hektischen Geschäften nachgingen. Um
wie vieles angenehmer war der Palatin mit seinen schattigen, sauber
gepflasterten Straßen, seinen anheimelnden kleinen Läden
und den schönen Häusern. In einer solchen Nachbarschaft
konnte man atmen und auch zur geschäftigsten Stunde des Tages
herumlaufen, ohne von Hunderten unhöflichen, drängelnden
Fremden angerempelt zu werden.
Ich hatte mich
vollkommen daran gewöhnt, in einem Reiche-Leute-Viertel zu
wohnen, und die Umstellung war mir gar nicht schwergefallen. Was
würde mein Vater sagen, der sein Leben lang in der Subura
gewohnt hatte? Wahrscheinlich wäre er stolz auf den
materiellen Erfolg seines Sohnes, dachte ich, wie unkonventionell
er auch errungen sein mochte. Wahrscheinlich würde er mich
ermahnen, meine Sinne beisammen zu halten und mich nicht vom
äußeren Schein täuschen zu lassen. Die raren und
hübschen Dinge, die man mit Reichtum und Macht erlangen kann,
sind häufig nur Verzierungen, die überdecken sollen, wie
dieser Reichtum und diese Macht erworben wurden. Ja, auf dem
luftigen, weitläufigen Palatin kann ein Mann frei atmen - doch
er kann ebensogut aufhören zu atmen. Dio war etwas viel
Schlimmeres widerfahren, als von Fremden angerempelt zu werden. Die
Qualität eines Lakens nützt einem Mann wenig, wenn er
für immer schläft.
*
Der Weg zur Villa von
Lucius Lucceius führte mich an dem Wohnhaus vorbei, aus dem
Marcus Caelius unlängst vertrieben worden war. Ich blieb
stehen, um mir das Gebäude genauer anzusehen. Das obere
Stockwerk stand nicht nur leer, an der Ecke des Hauses war auch
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