Römischer Lorbeer
Besucher auf der Suche nach Clodias
Ringern gemustert. Einige hatte ich wegen ihres kräftigen
Körperbaus zu den potentiellen Kandidaten gezählt, und
tatsächlich waren sie unter den Männern, die sich
plötzlich auf Licinius stürzten. Doch es waren weit mehr,
als ich erwartet hatte, mindestens zehn, unter ihnen zu meiner
Überraschung auch Vibennius mit den flinken
Fingern.
Sie wollten Licinius
in dem Moment ergreifen, in dem das Döschen seinen Besitzer
wechselte, doch sie kamen zu früh. Jemand hatte das Kommando
den Bruchteil eines Augenblicks zu früh gegeben oder war auf
das Döschen losgestürzt, bevor er es hätte tun
sollen; vielleicht war Licinius einfach so nervös, daß
er in Panik erstarrte, bevor die Übergabe über die
Bühne gegangen war. Wie immer sich die Ereignisse sich im
einzelnen abgespielt haben mögen, die Pyxis wurde nicht
übergeben, sondern war noch in Licinius’ Besitz, als er
alarmiert herumfuhr und hektisch drängelnd durch den Raum zu
hasten begann, dem Griff seiner Häscher immer wieder
entgleitend. Ich sah kurz sein Gesicht und dachte, daß ich
noch nie einen Mann gesehen hatte, der einem Kaninchen, einem
besonders ängstlichen noch dazu, so ähnlich sah. Doch er
hielt das Döschen weiter fest in seiner geballten
Faust.
Die stämmigen
Ringer wären eigentlich überzeugende Häscher
gewesen, doch was sie an Muskelkraft hatten, fehlte ihnen an
Behendigkeit. Arme und Hände griffen ins Leere, während
das Kaninchen vorbeihuschte. Köpfe schlugen gegeneinander,
doch Licinius schlüpfte zwischen ihnen hindurch. Es war wie
eine komödiantische Pantomime, wenngleich kunstvoller
choreographiert als alles, was ich je auf einer Bühne gesehen
hatte.
Das Kaninchen
stürzte auf den Ausgang zu, doch der Weg war
versperrt.
»Gib das
Döschen her!« brüllte jemand.
»Ja, das
Döschen!«
»Her
damit!«
»Gift!
Gift!«
Die Umstehenden, die
Zeugen dieses Spektakels wurden, trugen Mienen verschieden stark
ausgeprägter Verwirrung, Empörung oder Erheiterung zur
Schau. Einige schienen zu glauben, das Ganze sei lediglich ein
Spiel, während andere sich unter den Holzbänken in
Sicherheit brachten. In dem Getümmel entdeckte ich den
scharfzüngigen Catull, der mit vor Überraschung weit
aufgerissenen Augen zusah.
Als Licinius erkannte,
daß der Ausgang versperrt war, fuhr er herum und stürzte
auf die unbewachte Tür zu den Bädern zu. Als er sie
gerade erreicht hatte, wurde sie von einem alten, in ein Handtuch
gewickelten Mann geöffnet. Licinius stieß ihn zu Boden.
Mit lautem Geschrei folgten Clodias Ringer und sprangen über
den am Boden liegenden alten Mann wie Hunde über einen
Baumstamm.
»Verdammt!« murmelte
Barnabas, als er an mir vorbeirannte und meinen Arm
packte.
Wir folgten dem
Kaninchen vorbei an einem riesigen Becken voller johlender und
lachender Badegäste. Einer der Ringer war auf dem nassen Boden
hingefallen und rutschte bei dem Versuch aufzustehen immer wieder
aus. Wir drückten uns an ihm vorbei und rannten durch eine
weitere Tür in die innerste Kammer, wo die Luft dick war vom
Dampf aus dem heißen Becken. Hier regierte das Chaos: Wildes
Platschen und Geschrei hallte in dem nur schwach beleuchteten Raum
wider.
»Versperrt die
Tür! Er wird versuchen, den Hinterausgang zu
nehmen!«
»Gift!«
»Paßt auf,
daß er das Döschen nicht ins Becken
wirft!«
»Hat da jemand
was von ›Gift im Becken‹ gesagt?«
»Gift?
Laßt mich raus!«
Es gab ein
großes Gerenne, Gerutsche und Gerempel, als die Ringer
versuchten, Licinius zu finden; einige traten, begleitet von einem
unbehaglichen Zischen, in kochend heißes Wasser.
»Er muß
hier irgendwo sein!« sagte Barnabas. »Die Tür ist
blockiert, und es gibt keinen anderen Weg nach
draußen.«
»Natürlich
gibt es den«, sagte ich und wies auf eine dunkle Ecke.
»Die Tür zum Heizraum.«
Barnabas stöhnte,
rannte zur Tür und riß sie auf. Aus dem dahinter
liegenden, dunklen Gang schlug uns heiße Luft entgegen.
Barnabas machte ein paar zögernde Schritte, stieß mit
dem Fuß gegen etwas und erstarrte. »Hades! Eine
Leiche!«
Im Dunkel rührte
sich etwas zu Barnabas’ Füßen, aber es war keine
Leiche, es sei denn Leichen haben zwei Köpfe und zappeln
herum.
»Verschwindet!«
stöhnte der eine.
»Such dir selbst
einen!« keuchte der andere.
Barnabas schreckte
zusammen. »Was -?«
»Der haarige
Hintern und der kahle Dummkopf!« sagte ich.
Eigentlich sagte das
Barnabas gar nichts, doch er begriff schnell genug.
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