Roemisches Roulette
hatte. Doch ich wusste auch, dass dies beileibe keine weltbewegenden Probleme waren. Ich wusste, welches Glück ich trotzdem hatte, und deshalb nickte ich bloß.
“Tja”, sagte Kit verbittert und wandte sich wieder zur Glasscheibe. “Bei dir läuft alles zu deinem Vorteil.”
Ihre Worte trafen mich wie ein Dolch. Da ich aber wusste, wie verletzt und verängstigt sie war, schwieg ich. Statt zu widersprechen, betrat ich den Glaskasten und begrüßte Kits Mutter. Dann ging ich. Wieder im Taxi auf dem Weg in die Innenstadt, wurde mir bewusst, dass Kit sich nicht bedankt hatte.
7. KAPITEL
W enn ich an Kit zurückdenke, versuche ich oft, mich an den genauen Zeitpunkt zu erinnern, in dem unsere Freundschaft zu bröckeln begann. Bei einem Erdbeben beginnt die folgenschwere Verschiebung der Platten stets mit einem leisen Rumoren. Manchmal denke ich, bei uns hat es bereits in unserer gemeinsamen Kindheit rumort. Dann glaube ich wieder, dass vielleicht der Moment im Krankenhaus vor dem Zimmer ihrer Mutter der Anfang vom Ende war. Doch unabhängig davon, wann oder warum es begann, eines kann ich ganz genau bestimmen: den Moment, in dem ich
sicher
war, dass die Talfahrt begonnen hatte. Am Abend der Dinner Party bei den Weatherbys.
Man hatte uns gesagt, es sei ein “ungezwungenes Get-Together einiger handverlesener Ausschussmitglieder”, und da das Ganze an einem Montagabend stattfand, ging ich davon aus, dass es Pizza und Bier geben würde. Ich hätte es besser wissen müssen. Die Ausschussmitglieder lebten stets auf großem Fuß.
“Einen Toast auf einen weiteren schönen Sommermonat”, verkündete Joanne Weatherby an jenem Abend. “Und auf Nick und Rachel.” Dann erhob sie ihr glitzerndes Champagnerglas.
Die aus zwölf Personen bestehende Abendgesellschaft ließ die Gläser klirren und sah uns forschend an.
“Esst, Kinder, esst”, forderte Joanne uns auf, während sie Platz nahm. Sie war eine zierliche blonde Frau, die bereits seit fünfundzwanzig Jahren den Posten der Ausschuss-Vorsitzenden innehatte. Diese Tatsache beeindruckte mich genauso wie ihr gigantisches zweistöckiges, von Kerzen erleuchtetes Appartement an der Michigan Avenue, ihre Designer-Klamotten und die Tatsache, dass – wenn man dem Gerede Glauben schenken durfte – weder sie noch ihr Ehemann jemals einen Beruf ausgeübt hatten.
“Wenn ich bitte ein paar Sätze sagen dürfte”, verkündete Nick, der aufgestanden war und sein Glas in die Luft hielt. “Rachel und ich freuen uns sehr, Sie alle kennen gelernt zu haben. Wir sind überglücklich, in Ihren Kreis aufgenommen worden zu sein.” Er machte eine kleine Pause, um das Nicken der Gruppe zu erwidern. Dann hob er sein Glas noch ein Stückchen höher. “Auf den Erfolg des Ausschusses.”
Aufs Neue hob die Gesellschaft die Gläser. “Auf den Ausschuss!”
Als Nick sich wieder auf einen der in weiße Seidenhussen gehüllten Stühle gesetzt hatte – die zu bekleckern ich unbedingt vermeiden wollte – und die Vorspeise serviert wurde, richteten sich die Blicke auf uns. Abermals.
“Und, Rachel, in welchem Stadtteil leben Sie?” Das war Valerie Renworth, eine dünne Frau mit rabenschwarzem Haar und großen grünen Augen.
Mit so einer Frage hätte ich rechnen müssen. Immerhin ging es seit Nicks Aufnahme in den Ausschuss so – Abendessen, Wohltätigkeitsbälle und ein Haufen Fragen an das neue Paar. Es kam mir vor, als gewährte man Nick und mir jedes Mal von neuem fünfzehn Minuten Ruhm in einem exklusiven Chicagoer Kreis. Wir beide wussten, dass es ein Test war. Noch hatten sie uns nicht vollends akzeptiert.
Leider stellte Valerie ihre Frage genau in dem Augenblick, als ich mir eine Gabel Kaviar in den Mund schob. Die salzigen Kügelchen kratzten in meinem Hals, und so würgte ich sie rasch herunter und spülte so diskret wie möglich mit einem Schluck Wasser nach. Dann antwortete ich: “Bloomingdale Avenue. Sagt Ihnen das was?”
Valerie schüttelte den Kopf.
“Die meisten kennen die Straße nicht”, fuhr ich fort. Allmählich entspannte ich mich. “Eine friedliche kleine Straße südlich der Armitage Avenue. Sie verläuft einige Blocks entlang einer stillgelegten Bahnstrecke. Uns gehört dort ein kleiner Bungalow.”
“Klingt ja geradezu malerisch.” Aus dem Mund eines anderen hätte das eine versteckte Beleidigung sein können, doch Valerie verfügte über eine sehr offene Art. Also lächelte ich ihr dankbar zu. Vermutlich war sie es gewohnt, beliebt zu sein. Sie war
Weitere Kostenlose Bücher