Roemisches Roulette
griff nach der Sonnenbrille auf dem Schreibtisch.
“Wohin gehen Sie?”
“Zur Bank.”
Er verschränkte die Arme vor der Brust. “Ihre Bankgeschäfte können Sie in der Mittagspause erledigen.”
Ich dachte an Kits Mom, die mich, mit all den Schläuchen, die aus ihren Armen ragten, an ein ramponiertes Boot auf einem Trockendock erinnerte. “Es geht um eine wichtige persönliche Angelegenheit. Ich bin bald zurück.”
“Sie sollten sich lieber um
unsere
Angelegenheiten kümmern.” Mit seinem manikürten Wurstfinger zeigte er auf den Boden.
Ich ging auf die Tür zu und hoffte, er würde Platz machen. “Ich habe im letzten Monat prima Zahlen geschrieben.” Übersetzung:
Zur Seite, du aufgeblasener Wichtigtuer.
“Scheint aber, als liefe es in diesem Monat nicht so toll.”
“Deshalb treffe ich heute ja auch die Thompson-Leute und morgen die von Baxter.”
Er rührte sich nicht vom Fleck. Ich wusste, dass Kit im Chicago General ungeduldig auf mich wartete. Und ihre Mutter auch.
Ich schob eine Schulter vor, quetschte mich an ihm vorbei und versuchte, seinen zu schweren Moschusduft zu ignorieren, den er offenbar für sexy hielt. “Bis später, Laurence.”
Die Augustluft lag wie eine Dunstglocke über der Innenstadt. Die Menschen auf der Monroe Street huschten von einem klimatisierten Geschäft ins nächste, wie man es umgekehrt im Winter auf der Suche nach einem Ort zum Aufwärmen tut. Ich nahm ein Taxi und schickte den Fahrer nach Norden zur Lincoln Park Savings & Loan, der kleinen Gemeindebank, die meine Bankgeschäfte schon seit dem College regelte und bei der Nick und ich nach unserer Verlobung unsere gemeinsamen Konten eröffnet hatten. Da wir nicht mehr in dem Stadtteil wohnten, kam es selten vor, dass einer von uns die Filiale persönlich aufsuchte.
Ich betrat die kühlen Räumlichkeiten der Bank und stellte mich in eine der Warteschlangen. Drei Schalter waren geöffnet. Trotz einem guten Dutzend ungeduldiger Kunden, verrichteten die Bankangestellten ihre Arbeit mit stoischer Ruhe.
Nach zehn Minuten kam ich endlich an die Reihe.
“Was kann ich für Sie tun?”, fragte mich ein junger Mann mit weißem Hemd und blauer Krawatte.
“Ich brauche eine Zahlungsanweisung über dreitausend Dollar für Katherine Kernaghan.”
Ich musste an Nick denken. Ich sollte ihm davon erzählen – wenigstens bei dieser Angelegenheit sollte ich ihm reinen Wein einschenken. Andererseits half ich bloß einer Freundin in Not. Und das mit Ersparnissen, die ganz und gar mir allein gehörten; mit Geld, das ich verdient hatte. Außerdem hatte Kit mich gebeten, die ganze Sache für mich zu behalten.
Das Bemühen, mein Handeln mit rationalen Erklärungen zu rechtfertigen, brachte mich nicht weiter, im Gegenteil: Es erinnerte mich nur an das andere, größere Geheimnis, das ich vor Nick bewahrte.
Nach weiteren zwei Minuten saß ich in einem anderen stickigen Taxi auf dem Weg zum Chicago General.
Kit trug zwar etwas anderes als am Vortag, doch sie stand an derselben Stelle, die Hand wieder an die Glasscheibe gelegt.
Ich stellte mich neben sie und blickte ins Zimmer. Eine Krankenschwester in roséfarbenem Kittel maß bei ihrer Mutter gerade die Temperatur.
“Wie geht es ihr?”, fragte ich.
“Unverändert.” Kits Stimme war völlig emotionslos.
“Musst du diese Woche arbeiten?”
“Goodman hat mir frei gegeben.”
“Ein netter Zug.”
“Ja.” Keine von uns rührte sich. “Hat das mit dem Geld geklappt?”
“Sicher.” Ich händigte ihr den weißen Briefumschlag mit der Zahlungsanweisung aus und kam mir vor, als täte ich etwas Verbotenes.
Kit steckte ihn in ihre Handtasche. “Ist das nicht ungerecht?”, sagte sie, ohne ihre Mom aus den Augen zu lassen. Die Krankenschwester war fertig und gab Kit ein Zeichen, dass sie hereinkommen könnte. Kit antwortete ihr mit einem stummen Nicken.
“Ja”, stimmte ich ihr zu. “Sogar sehr ungerecht.”
“Einige Menschen erreichen nichts im Leben. Sie bekommen nichts geschenkt. Und andere kriegen alles geschenkt, egal was sie tun.”
“Ja”, sagte ich wieder, ohne genau zu wissen, worauf sie hinauswollte.
Sie drehte sich zu mir um. Ihre Augen waren wieder klar, nicht so rot wie am Vortag. “Wie du, Goldkind. Bei dir ist alles perfekt.”
Ich öffnete den Mund. Ich wollte sie an Nicks Affäre erinnern, an meine, an die Scheidung meiner Eltern und meinen sinkenden beruflichen Status. Der längst geplante Nachwuchs, den meine Ehekrise vorerst verhindert
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